Dienstag, 04 April 2017 09:26

Das St. Gertraud-Kirchl in Sulden im Wandel der Zeit

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s31 0094Ein schneebedeckter Pfad schlängelt sich hinter dem Suldener Bäckerhaus, führt am alten Widum vorbei und mündet an ein hölzernes Gatter. Ächzend öffnet es sich und gibt den Blick auf eine kleine Kapelle frei. Es ist das alte, Suldener St. Gertraud-Kirchl, welches halbversteckt und etwas scheu dort seit mehr als 700 Jahren seinen Platz gefunden hat.

Eingefügt in einen großen Felsbrocken, thront es am Fuße des Ortlers und blickt liebevoll zur großen Schwester hinüber ,der neuen Pfarrkirche von Sulden. Diese wurde im Jahre 1900 gebaut, um der wachsenden Bevölkerung und den Gästen, mehr Gebetsraum und einen größeren Friedhof zu bieten.
Groß ist der kleine Friedhof der “Alten“, im Jahre 1320 erbauten, Kirche wirklich nicht. Nur wenige Meter lang schmiegt er sich schützend rund um das Gotteshaus. Begrenzt von einer hohen felsigen Friedhofsmauer, an welche, tief im Schnee steckend, uralte marmorne kaum lesbare Gedenkplatten lehnen; strahlt er eine ganz besondere Ruhe und Mystik aus. Hinter diesen geschlossenen Mauern stehend, sich vorsichtig bückend um das Fresko s30 0064des hl. Antonius aus dem 14. Jh. betrachten zu können, fühlt man sich ruhig und aufgehoben… wie in einer ganz eigenen Welt. Selbst das fröhliche Lachen der Wintergäste nebenan, das tiefe Brummen der Schneekatzen, diese typische Geräuschkulisse eines Touristendörfchens, versinken hier lautlos im tiefen Schnee und respektieren die Totenruhe der hier seit 500 Jahren begrabenen Suldner.
Vor vielen Tausend Jahren war Sulden ein unwirtlicher Ort. Gerade eben aus den Fängen der gigantischen Gletscherzungen befreit, bedeckt mit Sümpfen aus Gletscherwasser gab es in diesem Hochtal nur Wildnis. Wahrlich kein schöner Ort um sich dort anzusiedeln. Trotzdem zog es um das Jahr 1100 erste, mutige Jäger in das Hochtal. Bald darauf folgten ihnen Hirten, welche nach Trockenlegung der Moore fruchtbare Wiesen anlegten und in Sommermonaten das Vieh ihrer Landesfürsten dort hüteten. Um das Jahr 1192 siedelten sie sich in Sulden an und gründeten die erste 4 Höfe-Gemeinschaft. “Grashöfe wurden diese Behausungen genannt. Stetem Hunger, eisiger Kälte Bedrohung wilder Tiere und der Macht der Naturgewalten ausgesetzt, fristeten die ersten Bewohner ein “Armenleben“. Als Halbwilde bezeichnet, fern jeglicher Zivilisation, lebten sie von der Hand in den Mund und vom Gott-Vertrauen. Im Herrgottswinkel ihrer Stuben baten sie Gott, auch den nächsten Winter überleben zu dürfen.
Erst ab dem Jahre 1350 fand die eigentliche, dauerhafte Besiedelung des schwer zugänglichen Hochtales Suldens statt. Sie wird den Bergknappen zugeschrieben, welche Eisenerz aus den Bergen abbauten. Aus diesem Jahr stammen Aufzeichnungen über das erste heilige Gotteshaus in Sulden: Eine einfache kleine Kapelle welche von ihren Erbauern der “hl. Gertraud“ gewidmet wurde und Zuflucht für all die Sorgen und Nöte des damaligen Bergvolkes bot.
Die Beulenpest, unsagbare Hungersnöte und kriegswütende Banden welche, im 14. Jahrhundert den Vinschgau bedrohten, ließen immer mehr Menschen schutzsuchend ins höher gelegene Hochtal fliehen. Doch scheint auch Sulden von diesen Schrecken nicht verschont geblieben zu sein. Bei Instandhaltungsarbeiten an der alten Kirche vor einigen Jahren wurden dort Gräber aus jener Zeit entdeckt.
Die kleine “St. Gertaud Kirche“ war damals wohl Zuflucht und Gebetsort zugleich für diese bitterarmen und geschundenen Menschen. In einfachen Feiertagskleidern versammelten sie sich dort zur heiligen Messe, welche vom Pfarrer aus Agums alle 2 Wochen abgehalten wurde. Sogar drei s31 947Feiertagsgottesdienste gab es für die Menschen am“ End der Welt“: am Fest der heiligen Gertraud, am Fest des hl. Laurentius und am Pfingstmontag. Offiziell wurden Verstorbene erst ab dem Jahre 1536 in Sulden zur letzten Ruhe gebettet. Vorher karrte man die Toten auf beschwerlichen, mühsamen Wegen zum Agumser Friedhof. “Winterleichen“ wurden bis zum nächsten Frühjahr eingefroren und erst dann mit dem Beginn der Schneeschmelze ihrer letzten Ruhestätte im Tal übergeben.
Anfangs des 16. Jh wurde das Kirchlein umgebaut. Wertvolle Fresken aus jener Zeit, freigelegt im Jahre 1998, zeugen davon. Diese gut erhaltenen Wandgemälde aus der sogenannten Donauschule zeigen den Leidensweg, die Kreuzigung und das Begräbnis Jesu.
Anno 1614 wurde Stilfs eine eigenständige Pfarrei und Sulden deren Filiale. Die zuständigen Seelsorger aus Stilfs gingen beinah wöchentlich den unwegsamen Pfad nach Sulden um dort die hl. Messen zu halten.
Doch eines Wintertages wurde Hochwürden in Außersulden von der “Thurnerlahn“ mitgerissen und bis zum Hals in den Schneemassen begraben. Er konnte dank seines Hundes gefunden und gerettet werden, doch wagte ab diesem Tage kein weiterer Priester den gefährlichen Weg nach Sulden.
Die Folge davon; ein ganz eigener Seelsorger für die Suldner. 1743 konnten die frommen Bergleute tägliche Gottesdienste in ihrer, in gotischem Stil, errichteten Kirche feiern.
1830 wurde die Kirche vergrößert: Der Turm erhöht, der gotische Hochaltar entfernt und eine Sakristei zugebaut. Eine aus Wien zugekaufte Drehorgel wurde in einem hölzernen Vorbau außen über der Kirchentür aufgestellt. Der neue Altar mit einem Bild der “hl. Getraud“, als Prinzessin von Johann Sieß dargestellt, verschönert.
Anfang des 19.Jh begannen die Gletscher erneut zu wachsen und schoben sich mit großer Geschwindigkeit dem Suldental zu. Stück um Stück wurde so den Bauern fruchtbares Weideland entrissen. 1850 kam der Gletscher den Häusern bis auf 50 m nahe und versetzte deren Bewohner in Angst und Schrecken Auch in dieser schweren Zeit bot das kleine Berg-Gotteshaus den Gläubigen einen Ort der Hoffnung. Im Kerzenschein zitternd vor Kälte, baten sie Gott flehentlich um Schutz.
s31 563Ihre Gebete wurden erhört, das Gletscherungetüm zog sich langsam wieder zurück, Sulden war gerettet.
Heute im 21. Jh ist Sulden frei von solchen Naturgewalten. Sämtliche Gletscher haben sich bis auf knapp 3000m Höhe zurückgezogen. Hunger, Seuchen, Kriege und Armut gibt es in dem gegenwärtigen Touristen-Bergdorf nicht mehr, doch die hl. Gertraud als Schutzpatronin, ist den Suldnern erhalten geblieben. Nunmehr in 2 Kirchen verehrt, bietet sie Einheimischen und Gästen weiterhin einen Platz der Einkehr, des Gebetes und des Friedens.
Das kleine, alte Pfarrkirchl ist nunmehr ein Ort der Erinnerung und der stillen Andacht geworden. Dort, inmitten des Friedhofs steht jetzt ein Felsen aus Ortler-Gestein, auf dem ein ganz besonderes Kupferbuch liegt. Ein Buch im Andenken an all jene, welche die letzten Jahrzehnte in den Suldner Bergen ihr Leben verloren haben. Unzählige Namen, Geburtsjahre, verschiedenste Schicksale von meist jung Verunglückten sind dort zu finden.
Vor diesem Felsen steht ein junger Mann. Er sucht einen ganz bestimmten Namen in diesem Kupferbuch. Den Namen seines verstorbenen Freundes, welcher mit ihm vor 10 Jahren die Ortler-Nordwand besteigen wollte, dort aber tödlich verunglücke. Beide Freunde wurden per Hubschrauber geborgen, sein toter Freund wurde im alten „St. Gertraud-Kirchl“ aufgebahrt. Mit leiser Stimme erzählt er wie er in größtem Schmerz neben seinem verstorbenen Freund am Altar saß und wie plötzlich eine große innere Ruhe über ihn kam. Es war ihm, als würde dieser Ort dort, ihnen beiden Schutz und Trost schenken.
Seit kurzer Zeit dient das Kirchlein den Suldnern auch als Totenkapelle. Vor dem Altar wird der Sarg, umrahmt vom warmen Licht der Kerzen, liebevoll aufgebahrt. Angehörige knien betend davor. Auch sie suchen Trost im Kirchlein ihrer Urahnen und bitten ihre Kirchenpatronin um ihre schützende Hand.
Cornelia Knoll

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