Dienstag, 08 August 2017 00:00

„Ich habe einen anderen Sohn zurück bekommen“

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s17 7338Vor 16 Jahren am 1. September 2001 veränderte der Unfall ihres Sohnes Elvis auch das Leben von Sieglinde. Der Jugendliche war nach seiner Geburtstagsfeier in Begleitung eines Freundes mit dem Dreirad bei Tartsch verunglückt. Seither ist für Mutter und Sohn nichts mehr wie es war.

von Magdalena Dietl Sapelza

Elvis hatte schwerste Kopfverletzungen erlitten, wurde notoperiert und schwebte wochenlang in Lebensgefahr. Sieglinde besuchte ihn täglich in der Intensivstation in Bozen. Erleichterung keimte auf, als er nach sechs Wochen erwachte.

„Nessaja“ (Ich wollte nie erwachsen sein – ein Lied von Peter Maffei) war sein erstes Wort. Dass es wie ein Omen für die Zukunft war, wurde Siglinde später schmerzlich bewusst. Elvis lebt seither abseits vom Erwachsensein. Er spricht oft wie ein Kind. Seine Denken und Handeln bewegen sich zwischen Traum und Wirklichkeit, zwischen Freundlichkeit und Aggressivität. „Ich habe einen anderen Sohn zurück bekommen“, sagt Sieglinde. Daheim rebellierte Elvis, er redete ununterbrochen, lief davon, versteckte Dinge, schrie und schlug um sich. Zurechtweisungen, ob im Guten oder energisch, brachten nichts. Das Familienleben geriet aus den Fugen, Freunde gingen verloren. Das alles stimmte Sieglinde tief traurig. „Wenn der Kopf nicht mehr funktioniert, funktioniert der ganze Mensch nicht, und das verstehen viele nicht“, erklärt sie. Von vielen Seiten prasselten Ratschläge auf sie herein: sie solle strenger zu Elvis sein, ihm nicht alles erlauben, ihn doch zu einer Arbeit schicken. „Das Dilemma ist, dass man dem Elvis die Veränderung im Kopf von außen nicht ansieht. Doch dem unkontrollierten Handeln steht man oft ohnmächtig gegenüber“, erklärt Sieglinde. Medikamente zur Beruhigung und gegen Epilepsie wurden Elvis Begleiter. Um ihren Sohn betreuen zu können, wechselte sie in der Firma HOPPE von Vollzeit auf Teilzeit.  Sieglinde und ihr Mann Florin ließen nichts unversucht, um ihrem Sohn zu helfen. Einer Spezialtherapie in München verweigerte sich Elvis. Sein Eigensinn ließ es nicht zu. Der schwierige Alltag mit ihrem Sohn, die ständige Sorge um ihn und das Unverständnis vieler Mitmenschen zehrten an Sieglinde. Sie zog sich immer mehr zurück und wurde selbst krank. Ihr Immunsystem schwächelte und eine Nickel-Allergie zwangen sie dazu, ihre Arbeit aufzugeben. Unendlich froh war sie, als Elvis zwei Jahre nach dem Unfall über ein Arbeitseingliederungsprojekt eine Anstellung bei der Gemeinde Mals erhielt. Eine Sozialarbeiterin kümmert sich seither um die arbeitsrechtlichen Belange. Wie zu Hause ist Elvis auch bei der Arbeit unberechenbar, verhält sich oft stur und eigensinnig. Er dreht alles, wie er es braucht und gibt nicht auf, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat. „Es ist nicht leicht mit dem Elvis, das ist mir vollkommen bewusst“, sagt sie. Er sei auch nicht voll belastbar und brauche Ruhepausen. Man müsse die Situation verstehen und mit ihm umgehen können. Doch viele seien überfordert. Und das bedrückt sie.
Auch Sieglinde fand wieder eine Teilzeit Anstellung als Hilfskraft im Kindergarten Laas. Die Beschäftigung macht ihr Freude, doch die Sorgen um das unberechenbare Verhalten ihres Sohnes, die Angst um den Verlust seines Arbeitsplatzes, nagten ständig an ihr, bis sie zusammenbrach. Sie kam zur Therapie nach Bad Bachgart. Dort erholte sie sich, begann sich zu öffnen, sammelte neue Kräfte und kehrte gestärkt heim. Nach einem Monat war wieder alles beim Alten. Daheim müsste sich etwas ändern, doch den Elvis könne man nicht ändern, meint sie.
Die alltäglichen Probleme mit ihrem Sohn belasteten sie wie eh und je. Das sorgenvolle „Kopfkino“ hören nie auf. „Ich wünsche mir mehr Verständnis für Elvis, weil ja auch immer betont wird, dass man den Benachteiligten helfen muss“, sagt sie. Sie fühlt sich allein gelassen. Es schmerzt sie, wenn Leute sagen, Elvis erhalte für das Wenige das er tut auch noch von der Gemeinde bezahlt. „Dabei bekommt er die 260 Euro nicht von der Gemeinde sondern aus dem Sozialtopf des Landes“, betont sie. Oft werde er in den Zwangsurlaub geschickt. Als er kürzlich einige Zeit ausfiel, weil ihm eine neue Schädeldecke eingesetzt werden musste, sei ihm das Geld sogar gestrichen worden. Sieglinde findet das ungerecht.
Sie wünscht sich, dass man ihn in seiner Beeinträchtigung nicht auch noch benachteiligt und ihn so nimmt wie er ist. „Wenn man in so einen Kopf hineinschauen könnte, würde man vieles besser verstehen“, meint sie. Das Leben mit Elvis in seiner unberechenbaren Art ist für Sieglinde und ihre Familie eine ständige Herausforderung. Ihre eigenen Bedürfnisse kommen dabei zu kurz. Und das seit 16 Jahren.

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