Dienstag, 06 August 2013 09:06

Nationalpark Stifserjoch - Pflanzliche Pioniere Erstbesiedler im Gletschervorfeld

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DSC 4321DSC 4323Wolfgang Platter, am Tag des Hlg. Dominikus, 4. August 2013

Die Sommermonate bieten den berggängigen Wanderern auch die Möglichkeit von Hochtouren und Wanderungen in den Bergen bisweilen weit oberhalb der Waldgrenze und auch oberhalb der geschlossenen Vegetationsdecke der alpinen Rasengesellschaften. In den großen Höhen, wo die Vegetation in den Geröllhalden, auf den Schuttflächen und Moränenböden offen und lückig wird, wachsen spezialisierte Überlebenskünstler mit feinen Anpassungen an die Extremstandorte. Drei dieser Spezialisten stelle ich im heutigen Beitrag vor, weil sie der aufmerksame Naturfreund derzeit im Blütenstadium erleben kann.

Der Gletscher-Hahnenfuß
Der Gletscherhahnenfuß gehört zu den Höhenweltrekordlern unter den Blütenpflanzen in den Alpen. Er wächst auf silikatischem Untergrund bis in Höhen über viertausend Metern im feuchten Geröll, auf Moränen, in Grusmulden und auf Schneeböden mit später Ausaperung. Die dreilappigen Blätter verraten in ihrer Ausformung die Zugehörigkeit dieser Pflanzenart zur Familie der Hahnenfußgewächse. Die Blätter sind dick und sukkulent, die Blatt- und Blütenstängel oft rot eingefärbt. Die anfangs weißen Kronblätter in den Blüten fallen nicht ab, sondern verfärben sich im Abblühen von weiß über rosa bis zu purpurrot. Dieser Farbwechsel der Blüten ist eine feine Anpassung zwischen dieser Hochgebirgspflanze und ihren Bestäubungsinsekten. Mit zunehmender Meereshöhe wird bei abnehmender Lufttemperatur die Insektenbestäubung   nämlich zunehmend zum  Problem für die Blütenpflanzen. Insekten sind wechselwarme Tiere und leiden bei den tiefen Temperaturen der Luft im Hochgebirge unter Bewegungsmangel. Die Bestäubungsinsekten können sich keinen hohen Energieverlust durch unergiebige Bestäubungsflüge ohne Nektar- und Pollengewinn leisten. Und die Blüten des Gletscher-Hahnenfußes helfen ihren Bestäubern, unnütze Anflüge zu vermeiden: Bestäubte Blüten verfärben sich von weiß zu rosa und signalisieren mit der geänderten Farbe der Kronblättern den Insekten die bereits erfolgte  Bestäubung. Einen Farbwechsel zwischen unbestäubten gelben und bestäubten orangen  Blüten vollzieht auch der

Alpen-Hornklee  (Lotus alpinus).
Der Gletscher-Hahnenfuß gehört zu den physiologisch gut untersuchten Hochgebirgspflanzen. An der Universität Innsbruck wurden ihm mehrere Forschungsarbeiten gewidmet. Walter Moser hat bereits im Jahre 1969 am Hohen Nebelkogel in den Ötztaler Bergen die Photosynthese-Rate von Pflanzenpolstern des Gletscher-Hahnenfußes  im Freiland mit damals neuer Koffer-Instrumententechnik  untersucht. Dabei bestätigten  die Messergebnisse, dass die Photosynthese-Rate dieses Höhenspezialisten unter den Blütenpflanzen vom Gang der Lufttemperatur und vom Lichtangebot abhängig und bei niedrigen Temperaturen insgesamt sehr gering ist. Die Frostresistenz dieser Pflanzenart verändert sich während der Vegetationsperiode. Einen sommerlichen Kältesturz mit Schneefall auch während der Blüte kann der Gletscherhahnenfuß problemlos überstehen. Gegen Ende der Vegetationsperiode im Herbst und zum nahenden Gebirgswinter hin erhöht der Gletscher-Hahnenfuß den Zuckergehalt in seinen Zellen. Die erhöhte Zuckerkonzentration im Pflanzenkörper wirkt dabei wie das Frostschutzmittel im Kühler eines motorisierten Fahrzeuges: Die Zellzucker senken den Gefrierpunkt im Zellplasma und schützen damit die Pflanze vor dem Erfrieren.

Kriechende Nelkenwurz oder Alpen-Petersbart
DSC 4297Die in Horsten auffällig gelb blühende Kriechende Nelk(en)wurz (Geum reptans) gehört zu der Familie der Rosengewächse. Das Merkmal dieser Familie der Blütenpflanzen sind die 5 Kronblätter und die unzähligen Staubblätter in der Blüte. Die Kriechende Nelkwurz bildet Ausläufer wie die Erdbeere. Am Ende der Ausläufer senken junge Ableger-Pflänzchen ihre Wurzeln in den Rohboden. Bei dieser Art der vegetativen Vermehrung durch Ausläufer sind alle Abkömmlinge der Mutterpflanze genetisch gleich. Es findet kein Austausch der Erbsubstanz wie beim Befruchtungsvorgang in der Blüte statt. Aber der Alpen-Petersbart hat sich an seinem Extremstandort im Hochgebirge beide Fortpflanzungsarten erhalten: die vegetative Vermehrung über die Ausläufer und die Samenbildung aus der befruchteten  Zwitterblüte. Der Name Petersbart kommt übrigens von den langen, spiralig gedrehten Samenhaaren. Diese Samenhaare sind beim Alpen-Petersbart purpurrot gefärbt, bei der Schwefel-Anemone hingegen hellbraun. Der Alpen-Petersbart wächst in Horsten, gern gesellig, auf feuchten Fein- und Grobschutthängen, auf Moränenhalden und Schwemmböden, aber auch an Felsbändern und in Mulden, wo er die Wärmespeicherwirkung der Steine  nutzt.

Alpen-Leinkraut
FL163Das Alpen-Leinkraut (Linaria alpina) ist ein Vertreter aus der Familie der Braunwurzgewächse. Als sogenannter Schuttkriecher ist das Alpen-Leinkraut fähig, den Erosionsgrus noch wenig gefestigter Böden zu besiedeln. Die Kriechsprosse aus den kleinen krautigen Pflanzenkörpern  wachsen nach dem Überrieseln mit feinen Steinchen vorne wieder aus dem Schutt oder treiben nach dem Abbrechen von Triebstücken neue Senkwurzeln in den unstabilen Rohboden. Die violette Blüte mit dem langen Sporn bietet den Bestäubungsinsekten mit der Unterlippe einen Landeplatz, dessen Attraktivität  durch die Signalwirkung der beiden orangeroten Flecken noch erhöht wird. Das Alpen-Leinkraut wächst auf Moränen- und Bachschutt.   

 

 


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