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Wolfgang Platter, am Tag der Hlg. Hildegard von Bingen, 17. September 2019

Tagelang wurden uns im August d. J. die bedrückenden Fernsehbilder von den Rauchsäulen und den großflächigen Feuern im brasilianischen Regenwald mit den Abendnachrichten ins Haus geliefert. Als der französische Staatspräsident Emanuel Macron die Brände zum Thema bei dem Treffen der Staatschefs aus den G7-Ländern in Biaritz macht, spricht der brasilianische Staatspräsident Jair Bolsonaro von einer Einmischung in innerbrasilianische Angelegenheiten und verlangt von seinem französischen Kollegen eine Entschuldigung. Das finanzielle Hilfsangebot der G7-Staaten lehnt der Brasilianer als Kolonialismus ab. Bei den oftmals gelegten Bränden im brasilianischen Regenwald geht es vordergründig und subjektiv für die Agrarlobby um die Vergrößerung der Weideflächen für die Rinder und die Anbauflächen für Soja, das großteils wieder an Nutztiere verfüttert wird, aber auch um die Ausbeutung von Bodenschätzen durch Bergbau. Objektiv und von außen gesehen, geht es um weit mehr: Für die im Urwald lebenden indigenen Völker, für das globale Klima und für die Biodiversität der pflanzlichen und tierischen Arten und die genetischen Ressourcen sind die Brände ein Desaster. Und es geht noch um ein Drittes: Der Qualm der Brandrodungen zeigt drastisch das Dilemma der internationalen Politik: Die Welt hat es mit Problemen zu tun, welche die Reichweite nationaler Souveränität überschreiten. Wenn der Regenwald am Amazonas entscheidend für das Weltklima ist, kann keine Regierung allein über diese Ressource verfügen. Es braucht dringend stärkere Kooperation und transnationale Lösungen. Aber derzeit lebt überall in der Welt der Nationalismus wieder auf.

Bäume sind Kohlenstoffspeicher
Der internationale Klimarat IPCC hat die massive Aufforstung als einen effizienten Lösungsansatz bei der Eindämmung des Anstieges von Kohlendioxid aus Verbrennungen dringenst empfohlen. Bäume sind Kohlenstoffspeicher und verbessern über ihre Photosynthese die Kohlenstoffbilanz. In Äthiopien wurden aus dieser Erkenntnis letzthin an einem einzigen Aktionstag unter Einbindung der Bevölkerung Millionen Bäume gepflanzt. Verluste von Waldflächen durch mutwillige Brandschatzungen können wir uns als Menschheit nicht mehr leisten, wenn wir die Erderwärmung bei +2° C einbremsen wollen.
Dass vor allem die Geschwindigkeit des Klimawandels menschengemacht ist, daran können auch die hartnäckigsten Klimaleugner nicht vorbeiargumentieren. Seit dem Einbringen des Kohlendioxids durch die Verbrennung von Kohle, also seit Beginn des 19. Jahrhunderts, sieht man ganz deutlich wie der Kohlendioxidgehalt unserer Atmosphäre schneller ansteigt, als irgendein natürlicher Prozess (wie etwa Vulkanausbrüche) ihn erklären kann. Die Industrielle Revolution hat Arbeit, Fortschritt und Wohlstand gebracht, hat aber mit dem Raubbau an der Natur und der Belastung der Ökosysteme einen Preis. Der Anstieg des Kohlendioxids ab dem 19. Jahrhundert hat sich durch verrußte Luft nicht nur unmittelbar für die Menschen von damals und später durch sauren Regen bemerkbar gemacht, sondern mit der Erderwärmung und deren Folgen auch für uns Jetzige.

Etappen von Erfindergeist und technischem Fortschritt
1782 erfindet Thomas Newcome die Dampfmaschine, James Watt verbessert sie. 1825 fährt die erste Eisenbahn, 1885 das erste Automobil von Carl Benz. 1866 wandelt Werner von Siemens mit seinem Dynamo Bewegungsenergie in elektrische Energie um. 1876 baut Nicolaus August Otto den ersten Viertakt-Ottomotor, 1893 Rudolf Diesel den nach ihm benannten Dieselmotor. 1887 entdeckt Heinrich Hertz die elektromagnetischen Wellen, 1895 Wilhelm Conrad Röntgen die später nach ihm benannten Strahlen. 1898 stellt der deutsche Physiker Ferdinand Braun eine erste drahtlose Funkverbindung her. 1900 begründet Max Planck die Quantenmechanik. 1903 meistern die Gebrüder Wrigth den ersten Flug mit einem motorisierten, gesteuerten Flugzeug. 1915 veröffentlicht Albert Einstein die allgemeine Relativitätstheorie. 1919 entdeckt der Schotte Robert Watson-Watt das Radar als Ortungssystem. 1920 gibt es in Deutschland die erste öffentliche Rundfunkübertragung via Radio, 1929 flimmern die ersten Fernseher. 1928 hat Robert Fleming das Penicillin als Antibiotikum gefunden. 1938 kommt der erste Computer von Robert Zuse als programmierbarer Rechner. Im gleichen Jahr gelingt Otto Hahn die erste Kernspaltung. 1942 fliegt zum ersten Mal eine Rakete in den Weltraum. 1945 wird Hiroshima von einer Atombombe zerstört. 1953 entschlüsseln Francis Crick und Robert Watson die Struktur der Desoxyribonukleinsäure DNA als Trägerin der Erbsubstanz. 1954 werden in den Laboratorien von Bell die ersten Solarzellen gebaut. 1961 fliegt mit dem russischen Kosmonauten Juri Gagarin der erste Mensch in das Weltall. Im Dezember 1968 schießt die Besatzung der amerikanischen Mondkapsel Apollo 8 das Foto „Rising Earth“. Das Bild macht Geschichte als der Moment, in dem die Menschen die gesamte Erde zum ersten Mal von außen mit eigenen Augen sehen – und sich von der Einzigartigkeit, aber auch Zerbrechlichkeit ihrer Heimat bewusst werden. 1969 betritt Neil Armstrong als erster Mensch den Mond. 1993 beginnt das für alle zugängliche Internet. Das Digitalzeitalter nimmt seinen Lauf.

Der Preis des Fortschritts
Und heute? 1960 lag die Konzentration von Kohlendioxid bei 320 Teilchen auf eine Million Luft-Teilchen (pars per million ppm), 2018 lag sie bereits bei 410 ppm. Spätestens seit Ende der 1980er-Jahre wissen alle vom menschengemachten Klimawandel und dessen Gefahren. 1992 gelobte die Gemeinschaft der Nationen auf dem Erdgipfel von Rio de Janeiro erstmals, sich ihm entgegenzustemmen. Damals war schon klar: Mitte dieses Jahrhunderts müssen wir damit aufhören, Klimagase in die Luft zu entlassen. Auf den bisher 24 Klimagipfeln regierte die schöne Theorie. In der Praxis aber hat das Wirtschafts- und das Bevölkerungswachstum allen Fortschritt aufgebraucht und noch mehr. Der Welterschöpfungstag ist 2018 auf den 29. Juli vorgerückt, 1987 lag er noch im Dezember. Seit Rio hat der globale Ausstoß des Klimaschädlings Kohlendioxid nicht etwa abgenommen, sondern ist von 20 Milliarden Tonnen im Jahr auf über 35 Milliarden gestiegen. 1990 hatte die Menschheit noch 60 Jahre Zeit, um klimaneutral zu werden, jetzt sind es nur noch 30.

Der ökologische Fußabdruck
Die jährlichen Kohlendioxid-Emissionen pro Kopf der Bevölkerung sind ein Spiegelbild der ungleichen Verteilung von Wohlstand und Armut in den verschiedenen Ländern unserer Erde. 2016 lag der Kohlendioxid-Ausstoß in den USA bei 15,0 Tonnen pro Person und Jahr, in Russland bei 10,0, in Japan bei 9,0, in Deutschland bei 8,9, in China bei 6,6, in Großbritannien bei 5,7, in Italien bei 5,4, in Frankreich bei 4,4, in Brasilien bei 2,9 und in Indien bei 1,6.
Während eines neunstündigen Fluges von Wien nach New York verursacht jeder Passagier 3.500 kg Kohlendioxid. Wenn er dabei „Flugscham“ (ein neuer Begriff der letzten Jahre) verspürt, kann er mit 81 € Aufpreis Kompensationsprojekte wie etwa Aufforstungen in Drittländern unterstützen.

Ist das Klima noch zu retten?
Der Weltökonom Jeffrey Sachs sagt ja. Die Menschheit kann das Klima retten und den Wohlstand steigern – unter einer Bedingung: Sie muss radikal werden. Dies meint Uwe Jean Heuser, der Leiter des Wirtschaftsressorts der Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“ in deren Ausgabe 36/2019 vom 29. August d.J. Er zitiert dabei eben Jeffrey Sachs, den Professor von der Columbia Universität, der als Weltökonom gelten darf. Der Entwicklungsexperte war beruflich schon in 125 Ländern unterwegs, berät den UN-Generalsekretär bei der Erreichung globaler Entwicklungsziele und erhielt 2015 den Blue Planet Prize, eine Art Nobelpreis für grüne Vordenker. Das Ziel sei klar: Mitte dieses Jahrhunderts müsse bei allen Treibhausgasen eine Null stehen. Und die Bedingungen des Unterfangens sind dabei: „Die Weltwirtschaft darf nicht kaputt gemacht werden, es darf die fünf Sechstel der Menschheit nicht stoppen, die beim Wohlstand aufholen und es darf dem wachsenden Wohlergehen für alle nicht im Wege stehen.“ Das bedeutet: Die Schwellenländer müssen reicher werden – und auch die Industrieländer an Lebensqualität zulegen. Sonst würden alle Versuche, den Planeten zu retten, in Konflikten und Krieg enden.
James Hansen, der Physiker und Mathematiker, der bei der NASA den Weltraum erforschte, war einer der Ersten, der die Dramatik des Klimawandels erkannte. Schon 1981 sagte er bemerkenswert klar voraus, was in den nächsten Jahren den Gletschern und Ozeanen widerfahren würde. Hansen meint: Wenn die Nationen Wohlstand und Klima erhalten wollen, müssen sie mehr tun, als einzelne wohlformulierte Pläne fordern. Hansen sagt, radikaler Wandel wirke immer unmöglich, bis er geschieht. Tatsächlich arbeiten heute schon unzählige Unternehmer und Forscher an Lösungen für die große Null. Klima könnte das größte Geschäft des 21. Jahrhunderts werden. Und Europa sollte bei Umwelttechnik und Umweltpolitik führend mitspielen. Nach dem Silikon Valley darf nicht auch das Climate Valley weit weg von Europa am Pazifik entstehen.

Publiziert in Ausgabe 19/2019

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