Dienstag, 04 September 2012 00:00

"Es braucht jemand, der entscheidet"

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Interview mit Edwin Lingg, Firma LICO Müstair

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Interview und Foto:
Magdalena Dietl Sapelza

Vinschgerwind: Die siebten Südtiroler Ritterspiele sind Geschichte. Zufrieden?
Edwin Lingg: Ja, sehr. Heuer sind sechs bis acht Prozent mehr Zuschauer gekommen. Ich schätze rund 13.000. Die genaue Auswertung fehlt noch. Seit wir die Spiele 2008 übernommen haben, sind die Besucherzahlen ständig gestiegen. Für die ersten zwei Jahre mit der Agentur „Bayern Event“ gibt es keine genauen Zahlen.

Was hat Sie als Geschäftsmann bewogen, 2010 ehrenamtlich die Präsidentschaft zu übernehmen?


Ich habe es als soziale Verpflichtung empfunden, den Verein Südtiroler Ritterspiele in die Hände zu nehmen. Wir  standen 2010 vor einem Scheideweg. Meine Vorgänger haben ihre Sache zwar  gut gemacht, doch das unternehmerische Denken hat ein bisschen gefehlt. Es hat neue Impulse gebraucht, um das Ganze auf die richtige wirtschaftliche Spur zu bringen. Damals herrschte im Dorf eine komische Stimmung und gewisse Querelen waren spürbar. Auch deshalb habe ich mich verpflichtet gefühlt. Der ehrenamtliche Einsatz ist für mich wichtig und das schon seit über 30 Jahren.

Sie sprechen von einer direkten Wertschöpfung von 2,3 Mio Euro und einer indirekten  von 4 Mio. Euro durch die Ritterspiele.
Dazu muss ich sagen: Es gibt eine Berechnung der Handelskammer. Da sind diese Zahlen herausgekommen. Wie, weiß ich nicht. Aber sie sind sicherlich realitätsnah. Laut eigenen Umfragen kommen 70 Prozent eigens wegen der Spiele hierher.  Obwohl die Präsenz der italienische Gäste heuer allgemein zurückgegangen ist, hatten wir einen Zuwachs. Ich schätze, dass dieses Mal 60 Prozent Italiener hier waren.  Es verdienen viele mit, die  Vereine, die Markttreiber, der Handel. Die Zulieferer setzen meiner Schätzung nach rund 200.000  Euro direkt um. Viele Leute kommen das erste Mal hierher, mit eingeschlossen die 1300 Schausteller. Der Werbeeffekt ist also groß. Alle sind begeistert, auch vom Gelände und von der Kulisse. Es gibt nichts Vergleichbares in Europa. Das wird uns immer wieder bestätigt.

Wie man erfolgreich wirtschaftet, zeigen Sie mit der Firma LICO in Müstair. Die Schweiz – ein guter Standort?
Ja, seit fast 15 Jahren produzieren wir Böden, und ich habe noch keine Minute bereut. Für unser Konzept ist der Standort ideal. Wir setzen auf „Swiss Quality“. Das bedeutet Zuverlässigkeit, Ehrlichkeit und Qualität. Damit identifiziert man die Schweiz weltweit. Südtirol ist nicht weit davon weg, nur wenn wir 500 km wegfahren, weiß keiner mehr, wo und was Südtirol ist. Dann ist es „Made in Italy“, und das ist mit anderen Aspekten verbunden. Unsere Böden gehen weltweit in 45 Staaten, beispielsweise in einen starken Markt in Russland, einen stark wachsenden Markt in China. Amerika kommt wieder langsam in Schwung. Kontakte reichen nach Südamerika und Australien.

Die Firma LICO expandiert seit Jahren, beschäftigt derzeit  55 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – Tendenz steigend. Keine Krise spürbar?
Gott sei Dank spüren wir von der Krise derzeit nichts. Im Gegenteil, wir investieren, bauen eine Lagerhalle und haben jährlich zweistellige Zuwachszahlen. Das ist gegen den Trend, auch in unserer Branche. Für den Fall, dass es einmal schlechter laufen sollte, versuchen wir uns zu rüsten.

Das Geheimnis des Erfolges?
Viel Ausdauer braucht man und den Mut, Entscheidungen zu treffen. Als Firma versuchen  wir innovativ und flexibel zu sein. Den Dienst am Kunden nehmen wir ernst, was wahnsinnig wichtig ist. Qualität ist heute Voraussetzung. Die Kunden schätzen unser breites, innovatives Angebot. Korkböden machen ein gutes Drittel aus. Im Sortiment sind Vinylböden, Steinböden, geflochtene Böden, Lederböden..., eine Unmenge an Produkten, darunter eine Vielzahl, die nur wir produzieren, so die digital bedruckten Böden, Steinböden. Interessant sind  unsere wasserfesten Böden. Die Böden haben alle ein einfach verlegbares Klicksystem. Von den acht Produktgruppen haben wir sieben als erste weltweit eingeführt.  Der Betrieb ist schlank strukturiert. Das ist unsere Stärke.

Wie werden die Kunden auf LICO aufmerksam?
Vielfach durch Mundpropaganda. Nur auf der Weltleitmesse für Fußböden in Hannover  treten wir bisher als LICO in Erscheinung. Auf allen übrigen Messen sind unsere Kunden mit ihren Eigenmarken, die wir produzieren, unterwegs. Über die Firma Pichler treten wir nun erstmals in Südtirol als Firma LICO auf.

Wöchentlich verlassen 20 beladene LKWs die Firma in Müstair. In welche Richtung fahren diese?
Zu 90 Prozent über den Reschenpass und gleich viele kommen mit dem Rohmaterial  zu uns. Die Verkehrsplanung ist ein Punkt, bei dem ich die heutige Logik nicht verstehe. Ich begreife nicht, dass die Politik die Problematik nicht sehen will. Dabei geht es nicht nur um die Firma LICO. Wenn wir  Böden nach Russland schicken, fällt es nicht ins Gewicht, dass wir die 20 Kilometer mehr über Spondinig Richtung Reschenpass fahren. Das verteuert gar nichts. Aber die Bevölkerung leidet unter dem Verkehr. Das Ganze ist weder ökologisch noch ökonomisch. Ein Unsinn ist auch, dass der Fernpass für den Schwerverkehr gesperrt ist und 100 km Umweg gefahren werden müssen, obwohl der Pass bestens ausgebaut und  die Orte vorbildlich umfahren sind. Ich weiß nicht, was die Politiker mit den Sperren verhindern wollen. Ich muss meine Ware in jedem Fall transportieren.  Verkehr behindern, heißt nicht Verkehr verhindern. Dieser muss fließen.

Sie sind ein Verfechter der  großen Umfahrung.
Von den Politikern generell  hätte ich mir etwas mehr Mut erwartet. Enttäuscht bin ich von der jüngeren Generation. Unsere Politiker lassen Studien machen, damit sie eine Ausrede haben. Sie spielen auf Zeit. 90 Prozent der Politiker denken nur von einer Legislaturperiode zur nächsten. Es geht ihnen um die Wiederwahl. Der unternehmerische Mut und die Entscheidungsfreudigkeit  sind  abhanden gekommen.

Die  Knoflacherstudie eine Farce?
Wenn ich mich richtig entsinne, sind die Fragen so gestellt worden, dass die Mehrheit der Bevölkerung gegen offene Verkehrsflüsse sein musste, gezielt um Knoflachers Konzept durchzudrücken. 80 Prozent der Bürger kannst du lenken. Je nachdem wie ich frage, kommt die Antwort. Man hat die Antworten so gewollt. Was mich wundert ist, dass man einen Experten beauftragt hat, der 30er Zonen auf der zwei Kilometer langen Strecke bei Schluderns oder Kreisverkehre auf der Laaser Geraden errichten will. Ob dieser Experte überhaupt einen Führerschein hat, bezweifle ich, denn viel Ahnung vom Autofahren scheint er nicht zu haben. Ich möchte ihn einmal mit nach Bozen nehmen. Der müsste höchste Genüsse erleben, weil wir im Vinschgau durchaus im Stau stehen.

Politiker im Vinschgau können sich auf der Knoflacher Studie ausruhen?
Ja. Wenn ich an den Verkehrsgipfel 2010 in Schluderns denke, war ich von den Aussagen mancher Bürgermeister enttäuscht. Man hat gemerkt, dass einige nicht wissen, wo die große Umfahrung verlaufen könnte. Sie haben das Thema als unbequem auf die Seite geschoben. Das Kirchturmdenken ist katastrophal.  So kommen wir zu gar nichts, und andere lachen sich ins Fäustchen, besonders die Politiker in Bozen.

Was wäre die Lösung?
Es braucht jemand, der entscheidet. Wenn man auf alle hört, kommt man zu nichts. Das beste Beispiel sind  die Windräder. Wenn zwanzig dagegen schreien, sind wir so dumm und bauen etwas vom Besten ab, das wir in den vergangenen Jahren gemacht haben, und  vernichten Geld und Ressourcen.

Also Entscheidungen in Bozen?
Das muss übergemeindlich passieren, sonst passiert gar nichts. Eines dürfte klar sein: In Tartsch wird nie ein Tunnel gebaut werden, obwohl eine Umfahrung nötig wäre. Auch kleinere Umfahrungsprojekte sind passé, weil die Landesregierung verstanden hat, dass das zu nichts führt. Man muss etwas für alle machen und nicht für jeden etwas.

Glurns erstickt im Verkehr.
Ja. Ich ärgere mich jedes Mal, wenn ich durchfahre. Und der BM hat einmal gesagt: Glurns hat kein Verkehrsproblem. Das sagt alles. Doch jetzt fangen sie an, mit Varianten herumzuspielen und wollen um Glurns herum eine Straße bauen. Daran merkt man, wie schlecht es mit der Weitsicht steht. Da ist wenig Konzept dahinter. Für den Ring würden sie fast gleich viel Grund verbrauchen, wie für die große Umfahrung. Wenn ich mit Besuchern in Glurns bin, fragen die jedes Mal, ob der Verkehr durch die Stadt heute eine Ausnahme ist. Dass die Glurnser eine große Umfahrung nicht befürworten, finde ich schlecht. unverständlich ist es, dass man sich nicht einigen kann, bei Spondinig eine Tafel aufzustellen, die den Schwerverkehr in die Schweiz lenkt. 50 Prozent der LKWs, die zum ersten Mal zu uns kommen müssen bei Glurns wieder umdrehen. Ist das ökologisch?

Zurück zu den Ritterspielen. Das Flugplatz-Gelände ist ideal. Wird die Grünlandfläche bleiben?
Sicherheit gibt es keine. Sollte  dort Obstplantagen entstehen, wird es keine Ritterspiele mehr geben. Weltuntergang wäre das keiner. Fragen müssten wir uns, ob wir monotone Kulturen wollen, oder nicht. Ob das Gelände auch künftig zur Verfügung steht, entscheidet die Politik, denn der Flugplatz gehört dem Land. Die Bauern sind Pächter. Für die Benutzung bekommen sie eine Entschädigung von uns. Moralisch würde der Flugplatz allen gehören. Aber das ist eine andere Geschichte. Eines ist sicher. Die Ritterspiele bringen wirtschaftlich einiges. Der Tourismus beginnt das langsam zu verstehen, obwohl es nach wie vor enttäuschend ist. Beim diesjährigen „Tag der Hoteliere“ waren nur zehn Leute da. Man kann nur über die Spiele urteilen, wenn man sie kennt.  Aber es tut sich etwas, und es geht in die richtige Richtung. Was den Erhalt der Grünlandfläche betrifft, braucht es ein langfristiges Konzept.


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