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Gespräch mit Christian Folie, langjähriger Leiter der Psychosozialen Beratung der Caritas in Schlanders

Vinschgerwind: Die Caritas Schlanders hat 1980 angefangen, sich mit dem Problem Alkohol, der Alkoholsucht zu beschäftigen. Wie kam es dazu?
Christian Folie: Angefangen hat es mit Anne Wiegand, einer Sozialarbeiterin aus Deutschland, die in Schlinig Urlaub machte und dann hier hängen geblieben ist. Sie arbeitete in Regensburg im Suchtbereich und hat sich dann, nachdem sie die Situation hier gesehen hat, an die Caritas gewandt und mit dem damaligen Caritasdirektor Hochw. Alois Müller das Projekt auf den Weg gebracht. 1980 wurde in Schlanders eine „Beratungs- und Rehabilitationsstelle für Alkoholabhängige“ eingerichtet und 1982 wurden die Räumlichkeiten der Beratungsstelle in Schlanders eingeweiht. Damals hat sie mich gebeten an den Wochenenden mitzumachen. Nach einer anfänglich ehrenamtlichen Mitarbeit ist danach eine fixe Anstellung geworden. Es ging am Anfang darum klarzumachen, dass die Alkoholsucht eine Krankheit ist, die heilbar und behandelbar ist. Vorher wurde sie einfach als Charakterschwäche und Laster gesehen, wo man nicht viel machen kann.

Vinschgerwind: Wie waren die ersten Erfahrungen?
Folie: Das Projekt war für die Caritas und eigentlich für ganz Südtirol neu. Die Alkoholsucht, der Alkoholismus wurde zu einem Thema gemacht. 1982 wurde zwischen der Caritas und dem Land unter dem damaligen Landesrat Otto Saurer eine Konvention abgeschlossen. Auch mit dem Ausland, besonders mit Vorarlberg wurden Konventionen abgeschlossen z.B. mit dem Fachkrankenhaus Maria Ebene. Auch nach Deutschland wurden Personen in Fachkliniken überwiesen, bis 2001 in Südtirol das Therapiezentrum Bad Bachgart eröffnet wurde. In der Öffentlichkeit bestand am Anfang Skepsis und Abwehr. Auch die Kontaktaufnahme und die Zusammenarbeit mit den Ärzten waren am Anfang schwierig. Frau Wiegand hat die Betroffenen zu Hause und im Krankenhaus aufgesucht, um ihnen das Problem bewusst zu machen. Stationäre Therapien wurden vermittelt. Erst nach den ersten Erfolgen bei Menschen, die sich einer Therapie unterzogen haben, verschwand diese Skepsis. Diese Menschen wurden zu Werbeträgern für eine behandelbare Krankheit und haben gezeigt, dass es sich auszahlt diesen Weg zu beschreiten. Parallel wurde der Verein „Hands“ als Kompetenz- und Therapiezentrum gegründet, um denjenigen die Hände zu reichen, die es nicht schafften, sich von Problemen mit Alkohol, Medikamenten und Glücksspiel zu befreien. Neben dem Beratungsdienst der Caritas wurde gleich zu Beginn auch die Selbsthilfegruppe „Der Kreuzbund“ gegründet, wo sich Betroffene und Angehörige regelmäßig treffen, sich austauschen und gemeinsam etwas unternehmen. Diese Selbsthilfegruppe, die „Kreuzbundgruppe“ gibt es heute noch. Sie wird von uns begleitet, damit auch der Weg in die Selbständigkeit erleichtert und gestützt wird. Diese Selbsthilfegruppe ist zu einer Lebensschule geworden. Einige sind auch bei den Anonymen Alkoholikern in Meran dabei. 1989 ging Frau Anne Wiegand in den Ruhestand. Seit 1990 bin ich Stellenleiter der Psychosozialen Beratung der Caritas in Schlanders.

Vinschgerwind: Das Tätigkeitsfeld wurde später ausgedehnt. Von der Alkoholberatung kam es zur psychosozialen Beratung. Wie war der Personalstand, wie viele Klienten wurden betreut?
Folie: Wir haben das Tätigkeitsfeld auf alle Abhängigkeitsbereiche ausgedehnt wie z.B. Medikamentenabhängigkeit und Spielsucht. 1982 gab es drei Mitarbeiter: zwei Sozialassistentinnen in Teilzeit und einen Pädagogen. 2011 gab es bereits 5 Mitarbeiter: drei Psychologinnen mit psychotherapeutischer Ausbildung, einen Stellenleiter und eine Verwaltungskraft. Damals gab es bereits 431 Klienten, davon 57% Männer und 43% Frauen. 2018 haben insgesamt 400 Menschen die Dienstleistungen der Psychosozialen Beratung in Anspruch genommen, davon 228 Frauen (57%) und 172 Männer (43%). Es gab 2018 insgesamt 3.073 Beratungsleistungen (Einzel-, Paar-, Gruppen- oder Familienkontakte)

Vinschgerwind: Wie wird gearbeitet? Ist die Beratung in erster Linie Einzelberatung oder auch Kleingruppenberatung und Familienberatung, d.h. erfolgt die Beratung nur mit den direkt Betroffenen oder auch mit den Angehörigen?
Folie: Die Leute kommen heute selbst zu uns bzw. über die Hausärzte, das Krankenhaus oder über Angehörige. Es geht am Anfang darum, die Bereitschaft der direkt Betroffenen einzuholen, dann werden aber auch gleich die Angehörigen eingebunden. Gemeinsam werden die Behandlungsschritte besprochen und festgelegt. Die Angehörigen spielen eine große Rolle, auch damit die Motivation aufrecht erhalten bleibt. Die Angehörigen müssen auch lernen mit den Betroffenen umzugehen. Suchtexperten berichten, dass unter der Sucht eines Betroffenen mindestens zehn weitere Personen leiden und in einen destruktiven Verstrickungssog geraten. Oft haben sich über die Jahre sehr viel Leid, Scham und Schuldgefühle aufgestaut. Das muss aufgearbeitet werden. Anfangs waren hauptsächlich Sozialarbeiter tätig, heute sind es außerdem Psychologen und Psychotherapeuten. Wir bieten motivationspsychologische Interventionen an, arbeiten mit Verhaltenstherapie oder psychoanalytischen Methoden. Die Methode und die Dauer werden ganz individuell mit den Betroffenen und Angehörigen festgelegt. Eines ist das Erzielen der Abstinenz bei einem Alkoholkranken, aber es geht auch darum die Lebensqualität zu erhöhen bzw. den Lebensstil zu ändern. Oft geht es darum, die ganze Familiengeschichte aufzuarbeiten. Wir haben festgestellt, je länger Menschen zu uns kommen, umso offener werden sie und sie verstehen dann auch wie die Sucht entstanden ist. Es geht auch darum Rückschläge aufzufangen und wieder neu anzufangen. Wir selber haben uns immer mehr spezialisiert und viel dazugelernt, worauf wir recht stolz sind.

Vinschgerwind: Heute ist die Caritas Beratungsstelle in ein landesweites Netzwerk eingebunden. Wie wird heute gearbeitet, welche Hilfen kann die Caritas anbieten?
Folie: Wir bilden heute mit den Hausärzten, dem Krankenhaus, den stationären Einrichtungen wie Bad Bachgart, Hands und den ganzen Sprengeldiensten ein breites Netzwerk. Wir sind in Kontakt mit dem Psychologischen Dienst, der Dienststelle für Essstörungen, dem Forum Prävention, der Familienberatungsstelle, der Caritas Schuldnerberatung, dem Vinzensverein, dem Arbeitsamt und auch mit verschiedenen Betrieben. Auch das Zentrum für psychische Gesundheit ist für uns ein wichtiger Partner, genauso wie die verschiedenen Selbsthilfegruppen. Heute ist dieses Netzwerk eine unserer Stärken, damit Menschen mit verschiedenen Schwierigkeiten aufgefangen, behandelt und gestützt werden, um den Alltag zu bewältigen. Heute gibt es neben der medizinischen und psychiatrischen Hilfe auch psychologische und soziale Hilfestellungen. Hinter der Sucht steckt oft ein ganzes Lebenstrauma und die Sucht ist nur die Spitze des Eisberges. Suchterkrankungen sind selten eine isolierte Erkrankung und gehen in der Regel einher mit verdeckten psychischen Belastungen und Leidensanteilen.

Vinschgerwind: Neben Suchtproblemen und psychosozialen Störungen werden auch Essstörungen und Spielsucht behandelt. Wie sieht es diesbezüglich im Vinschgau aus und was hat sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten geändert?
Folie: Vor rund 15 Jahren sind erstmals Menschen zu uns gekommen, die kein Suchtproblem hatten, sondern in einer Lebenskrise steckten, mit Burnout oder Zukunftsängsten. Rund 75% unserer Arbeit hat mit Süchten zu tun: Alkohol, Medikamentenabhängigkeit, Spielsucht, Essstörungen. Zum Glück melden sich immer mehr Menschen, die nicht mehr weiter wissen, einen Leidensdruck spüren und nach Hilfe suchen. Auch immer mehr Männer melden sich bei uns und nehmen unsere Beratung in Anspruch. Der Mut, sich in Behandlung zu geben hat zugenommen. Frauen sind eher diejenigen, die Hilfe suchen, auch wenn es den Mann betrifft. Bei uns melden sich auch Betriebe und fragen an, was sie tun können, wenn z.B. ein Mitarbeiter Alkoholiker ist.

Vinschgerwind: Wenn Sie jetzt am Ende Ihrer langen Arbeitstätigkeit auf die Erfahrungen zurückblicken: was waren die größten Herausforderungen und was die schönsten Momente?
Folie: Am Anfang war die Frage: wird das gelingen? Dann war die zweite Herausforderung die Konvention mit dem Land und die letzte Herausforderung ist die ganze Bürokratie, die wir jetzt nach dem Übergang zum Sanitätsbetrieb seit dem 1. Jänner 2018 zu erledigen haben. Es ist schön zu sehen, wie ein Netzwerk entstanden ist und die Behandlung von Suchtkranken in ein positives Licht gerückt ist. Dass Menschen es schaffen, sich wieder familiär und beruflich zu integrieren und die Herausforderungen des Lebens positiv bewältigen, das ist sehr schön.

Interview: Heinrich Zoderer

 

Psychosoziale Beratung
Beratung und Begleitung bei Suchtproblemen
39028 Schlanders, Hauptstraße 131
Tel. +39 0473 621 237, Fax +39 0473 732 647
E-Mail: psb@caritas.bz.it
www.caritas.bz.it

Publiziert in Ausgabe 10/2019

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