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Die Selbstbeschädigung

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Schlanders - BM Dieter Pinggera hat mit dem Abbruch eines Kasernenteiles durch eine Notverordnung seinen eigenen politischen Stil schwer beschädigt. Der Schaden an der Palazzina Commando ist das eine, der Schaden an der Schlanderser Politik gravierender.

von Erwin Bernhart/Angelika Ploner

Ich stehe zu meiner Entscheidung, den Abbruch verfügt zu haben und trage dafür die volle Verantwortung.“ Der Schlanderser BM lässt nicht den Hauch eines Zweifels über die Vorgangsweise aufkommen, die landesweit eine Welle der Empörung hervorgerufen hat. Der politische Stil, mit einer Notverordnung die Bagger frühmorgens für den Abbruch der Kommandozentrale und des südlichen Riegels auffahren zu lassen, hat zu Spekulationen nach allen Richtungen eingeladen. War es die von der Landeskonservatorin Karin Dalla Torre angedeutete Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit, das Kasernenareal unter Denkmalschutz stellen zu wollen, die zu einer derart heftigen Reaktion in der Gemeindestube geführt hat? War es die bevorstehende Bebauung mit Wohneinheiten und Dienstleisungen just in jenem Teil des Kasernenareals, auf dem die Kommandozentrale steht/stand?
Fakt ist, dass die Furcht in der Gemeindestube vor Protesten derart groß war, dass man sich in die Notverordnung aus Sicherheitsgründen und in die Nacht geflüchtet hat. „Wie wir das als Eigentümer gemacht haben“, sagt BM Dieter Pinggera, „ist allein unsere Sache.“ Die Frage, ob man, wenn schon Sicherheitsmängel waren, nicht zuerst Sicherheitszäune hätte errichten können, so wie es üblich ist, empört Pinggera. Man habe unzählige Male die Eingangsbereiche zugenagelt, es habe nichts geholfen, es sei immer wieder aufgebrochen worden, Obdachlose und Kinder seien vor allem in die Kommandozentrale eingedrungen. Der Verwahrer des Kasernenareals, der Generalsekretär Georg Sagmeister, habe die Verantwortung nicht mehr übernehmen wollen. Deshalb die Abbruchverfügung. Wie diese umgesetzt worden ist, schildert Vinschgerwind-Autorin Angelika Ploner, die ab 6 Uhr im Kasernenareal war:

Die Machtdemonstration
Die Diskussion ob man für den Erhalt oder den Abriss der Drususkaserne Schlanders ist, vernebelt den Blick auf den wirklichen Schauplatz. Fakt ist, dass der Abrissversuch am 5. Oktober in einer Nacht- und Nebelaktion ein unvergleichliches Beispiel von Machtdemonstration und Arroganz ist, die in der Gemeinde Schlanders besonders dann gerne auftreten, wenn es um größere Bauvorhaben geht. Eine politisch korrekte Haltung und Handlung sieht anders aus.
Es ist kurz nach 5 Uhr, als der erste Baggerlärm zu hören ist und die Anrainer unsanft aus dem Schlaf geholt werden. Wenig später laufen die ersten Telefonate heiß, Mitglieder der Initiative Drususkaserne werden mobilisiert, die Presse, Gemeinderäte usw. Es ist ein unwirkliches, fast schon gespenstiges Bild, das sich hier in der Drususkaserne in Schlanders in der Dunkelheit zeigt. Baggerschaufeln, die in die Mauern donnern, Staub, Lärm und ein Polizeiaufgebot, das nur einen Schluss zulässt: Die Angst vor einem Boykott und einer Blockade muss groß sein.

Franz Marx hat einen klaren Auftrag in der Tasche, eine „ordinanza““ wie er sagt. Es ist jene Verordnung, die von Bürgermeister Dieter Pinggera am Vortag des 5. Oktober um 17:38 Uhr digital unterzeichnet wurde und „aus Gründen der öffentlichen Sicherheit den Unternehmen Marx AG mit Sitz in Schlanders und Mair Josef & Co KG mit Sitz in Prad a. Stj. anordnet, unverzüglich die vorgenannten Gebäude abzureißen.“ Die vorgenannten Gebäude sind die ehemalige Kommandozentrale mit dem Portal aus Göflaner Marmor und das Nebengebäude, die Palazzina Misurata, wo im oberen Teil die Tiefbauhalle der Landesberufsschule gebaut werden soll. Die Grundlage für die „ordinanza“ bildet ein Lokalaugenschein der !Achtung am 20. September, also 15 Tage vorher, vom Verwahrer der Liegenschaft Generalsekretär Georg Sagmeister und Geometer Sonja Wallnöfer, in der Gemeinde Schlanders für Infrastrukturen und Energie zuständig, stattgefunden hatte. Was die wenigsten wissen. Sagmeister und Wallnöfer haben nicht nur beruflich miteinander zu tun, sondern sind privat liiert. Böse Zungen behaupten: Den Lokalaugenschein könnte man auch als Familienausflug bezeichnen.

Antworten auf Fragen der Anwesenden gibt es an diesem Morgen keine. „Informationen gibt es nur beim Bürgermeister“, heißt es von Seiten der Polizisten. Die Vorgehensweise ist genau abgesprochen, Bescheid wussten nur wenige. Selbst die Arbeiter der Firma Marx haben sich gewundert an diesem Morgen, als sie um 4:30 mit vier Bagger zur Drususkaserne fahren sollten. Genau so verwundert waren Anrainer, die Mitglieder der Initiative Drususkaserne, jene, die im Areal gearbeitet und dieses als Lebensraum für sich entdeckt haben. Sie wurden mit der Aktion schlicht überfahren. Aus gutem Grund: Mit der Nacht-und-Nebel-Aktion sollten vollendete Tatsachen geschaffen werden. Ohne unberechenbare Störenfriede, die den Abriss verzögern oder gar verhindern.

Abgespielt haben sich an diesem 5. Oktober dann doch filmreife Szenen mit Protestaktionen, Tränen, Wut - und - hupenden Autos und hochgehaltenen Daumen auf der anderen Seite von jenen, nicht wenigen Bürgern, die den Abriss des umstrittenen Gebäudes befürworten. Wie auch immer man zur Drususkaserne stehen mag, eine politisch korrekte Haltung und Handlung sieht anders aus. Das Ganze ist ein Beispiel von Machtdemonstration und Arroganz, die in der Gemeinde Schlanders besonders dann gerne auftreten, wenn es um größere Bauvorhaben (Beispiel Palabirnhaus – Freischreibung Ensembleschutz) geht. Und genau ein solches sahen einige in der Ratsstube und vor allem wirtschaftspolitische Kreise in Gefahr. Landeskonservatorin Dalla Torre hatte in der Vergangenheit mehrmals bei Dieter Pinggera angedeutet, dass sie vor allem die Kommandozentrale mit dem Portal aus Göflaner Marmor als erhaltenswert und als kulturhistorisch relevant erachtet. Das hätte das Bauvorhaben mit 150 Wohnungen ordentlich ins Wanken gebracht. Seit 2017 steht das Projekt der beiden Architekten Georg Frisch und Eugenio Cipollone von der Bietergemeinschaft Insula Srl. Neben 120 Wohnungen von 50 bzw. 80m² und 30 Wohnungen mit 110m² sieht das Projekt auch Platz für Bildung, Forschung, Gewerbe und die Nahversorgung, aber keinen Platz für die alten Gebäude vor. Davon ausgenommen ist das ehemalige Versorgungsgebäude, die „Palazzina servizi“, jenes Gebäude, wo Basis Schlanders untergebracht ist. Ganz nebenbei bemerkt: Unberücksichtigt blieben im Projekt jene Ideen und Vorschläge, die im Bürgerbeteiligungsprozess von 2011 erarbeitet wurden. Es ist ein fragwürdiges Demokratieverständnis, das da an den Tag gelegt wird. Scheinheiligkeit trifft‘s wohl eher.

Dass politische, vor allem aber wirtschaftspolitische Motive hinter der Nacht- und Nebel-Aktion stecken, liegt nahe. Dass dann aber Gesetze und Regeln einfach ad absurdum geführt werden, ist doch befremdlich. Genauso wie das Verhalten der Akteure. Bürgermeister Dieter Pinggera war nur für wenige - vor allem für die Presse - erreichbar, der Generalsekretär weilte im !Achtung Urlaub, die Ausschussmitglieder, die laut Pinggera eingeweiht waren, schienen wie vom Erdboden verschluckt und der Vize-Generalsekretär Gilbert Platzer hatte einen Zahnarzttermin. Verständlich, dass eine solche Aktion Zahnschmerzen verursachen kann.

Nach und nach tauchen im Laufe des Vormittags Peter Gasser und Albert Pritzi von der Umweltschutzgruppe Vinschgau zusammen mit dem Landtagsabgeordneten der Grünen Hanspeter Staffler auf. Die Grünen erstatten wenig später Anzeige gegen Bürgermeister Dieter Pinggera. Auch der Landtagsabgeordnete Alex Ploner vom Team K macht sich ein Bild vor Ort. Die von Bozen angereiste Presse verfolgt das eifrige Baggern auf der hinteren Seite, der Bahnhofsstraße abgewandten Seite. Es ist die große Unbekannte aller Beteiligten, die das Szenario genauestens durchgespielt haben dürften: Wann kommt der Baustopp und wie lange können die Bagger arbeiten?

Um 11:30 Uhr fährt auf dem Areal der Drususkaserne eine Auto der Carabinieri-Streife vor. Vier Carabinieri, darunter die Kommandantin steigen aus und überreichen Christian Carli von der Bezirkspolizei die Verfügung des Baustopps. Landeskonservatorin Karin Dalla Torre hatte diesen angeordnet, weil der Antrag auf Feststellung des kulturelles Interesses beim Landesdenkmalamt - vorgeschrieben für öffentliche Gebäude, die älter als 50 Jahre sind – im Vorfeld nicht gemacht worden war. Die Dauer des Baustopps: 30 Tage. Es gibt immer wieder Applaus der Protestler. Auch am Nachmittag, als die Bagger in Reih und Glied auf das ehemalige Exerzierfeld geparkt werden.
Was bleibt ist Kopfschütteln an diesem Tag. Denn die Diskussionen über den Erhalt oder Abriss der Kaserne sind das eine. Das andere aber eine korrekte politische Haltung und Handlung aller in der Gemeindestube von Schlanders.

Die Landeskonservatorin Karin Dalla Torre hat am 11. Oktober ein Verfahren für eine direkte Denkmalschutzbindung der ehemaligen Drususkaserne in Schlanders eröffnet. Die Maßnahme betrifft das gesamte Gelände mit allen Gebäuden und Freiflächen einschließlich der Umfassungsmauer und folgt auf den am Mittwoch vergangener Woche verhängten Baustopp.
Damit stehen sämtliche Bau- und Grundparzellen 180 Tage lang unter vorläufigem Denkmalschutz, bis die Landesregierung innerhalb dieses Termins das Verfahren abschließt. „Das noch weitgehend intakte Kasernenareal der ehemaligen Drusus-Kaserne in Schlanders ist von außerordentlicher kultur- und bauhistorischer Bedeutung und muss daher erhalten werden“, begründet Landeskonservatorin Dalla Torre die Eröffnung des Unterschutzstellungsverfahrens. „Dieses Areal ist ein unverzichtbares Element der zeitgeschichtlichen Erinnerungskultur. Es ist architekturhistorisch bedeutend und städtebaulich relevant.“

Pinggera beeindruckt diese Vorgangsweise in keinster Weise. Im Gegenteil. Er sei der Aufforderung zur Einstellung der Abbrucharbeiten aus „institutioneller Korrektheit“ gefolgt. Er hätte das nicht tun müssen. Zumal sich die Landeskonservatorin Karin Dalla Torre in dieser Aufforderung auf die italienische Gesetzgebung berufen habe, die in Südtirol keine Anwendung finde. Denn der Denkmalschutz sei für Südtirol autonom geregelt.
Einmal in Fahrt, sagt Pinggera, dass das Denkmalamt 12 Jahre Zeit gehabt hätte, ein kulturelles Interesse oder einen Denkmalschutz für die Drusus-Kaserne festzustellen. Das sei zwischen 2010 und 2013 nicht geschehen, als die Kaserne im Besitz des Landes war, das sei auch dann nicht geschehen, als die Gemeinde Schlanders eine Machbarkeitsstudie über die Verbauung erstellen hat lassen, auch nicht als die Landesregierung den entsprechenden Bauleitplanänderungen zugestimmt habe.
Der bisherige institutionelle Weg und die Beschlüsse im Gemeindeausschuss, im Gemeinderat und in der Landesregierung haben immer den Abbruch aller drei Bauteile, der Palazzina Commando, der Palazzina Misurata und der Palazzina Tagliamento beinhaltet.
Die Strategie, die von der Gemeinde verfolgt wird, ist die Bebauung des Areals in drei Baulosen zu einem Gegenwert von je 5 Millionen Euro. Man sei in der Vorbereitung für die Ausschreibung für den 1. Baublock, genau dort, wo sich die Palazzina Commando befindet. Im Ausschreibungstext sollen alle Aspekte genau definiert werden, Freiflächen, Kubaturen, geförderter und freier Wohnbau, Tiefgarage, Infrastrukturen...
Dazu benötige man die immer noch ausstehenden Durchführungsbestimmungen von der Landesregierung, die die „Preisbindung“ betreffen - für das „leistbare Wohnen“.

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