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„I bin a richtige Leseratte“

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Theresia Riedl, Wwe Wegmann, genannt Tresl Jg.1934, Schluderns. Sie sitzt gerne auf der Terrasse ihrer Seniorenwohnung, liest Zeitungen, Zeitschriften, Romane und löst Rätsel. Theresia Riedl, Wwe Wegmann, genannt Tresl Jg.1934, Schluderns. Sie sitzt gerne auf der Terrasse ihrer Seniorenwohnung, liest Zeitungen, Zeitschriften, Romane und löst Rätsel.

Die 92-jährige Theresia Riedl, genannt Tresl, wurde auf dem Pazinhof (Vulgonamen: „Beim Bell“) auf dem Lichtenberger Berg geboren. Jahrelang arbeitete sie abwechslungsweise daheim und im Gastgewerbe. Dann heiratete sie den Witwer Franz Josef Wegmann und zog mit ihrer Tochter zu ihm und seinen sieben Kindern nach Schluderns.

von Magdalena Dietl Sapelza

Tresl kennt das Bergbauernleben „in- unt außwendig“, wie sie betont. „S`Strengste isch olm s`Steahn in di steiln Wiesn gwesn.“ Als zweite von sieben Kindern auf dem Inner-Pazinhof mussten sie und ihr älterer Bruder schon von klein auf anpacken, beim Füttern, beim Heueinbringen, beim Kornschneiden, beim Brotbacken. „Sobold miar hintr di Ohren truckn gewesn sain, hots ghoaßn orbatn“, meint sie. Ein unglückliches Ereignis als 15-Jährige zog dramatische Folgen nach sich. Beim Käseholen im Keller stieß sie sich den Schaft des Messers mit solcher Wucht ins rechte Auge, dass sie zweimal im Meraner Krankenhaus operiert werden musste. Weitere dringende Behandlungen wurden ihr anschließend verwehrt, weil der Ortspfarrer den Eltern nicht erlaubte, sie als Mädchen allein nach Meran fahren zu lassen. „Deis isch selm holt asou gewesn, ma hot gfolgt“, sagt sie. Seither ist sie auf einem Auge blind. „Irgendwia, bin i olm zurecht kemmen“, meint sie. Im Alter von 18 Jahren begann ihre Zeit als Saisonarbeiterin im Gastgewerbe. Es waren meist Wintersaisonen, denn im Sommer wurde sie daheim gebraucht. Ihre erste Stelle als „Mädchen für alles“ führte sie nach Sand in Taufers. Dort fand sie einen Freund. Sie sollte bei ihm bleiben, doch das Pustertal war ihr zu weit weg von daheim. „I bin olm a Hoamatgoaß gewsn“, lacht sie. Sie liebte die Geselligkeit in der Hofgemeinschaft am Lichtenberger Berg, wo man sich regelmäßig zum Tanzen in den Hofstuben traf. Eine nächste Saisonstelle nahm sie zuerst in Sta. Maria und dann in Klosterns an. Dort begann sie eine Liebelei mit einem Liftarbeiter aus Eyrs. Sie wurde schwanger und brachte die Tochter Marlies zur Welt. Als die Kleine drei Monate alt war, erfuhr sie, dass der Vater ihres Kindes eine andere geheiratet hatte. „Deis hot fescht weah toun“, meint sie. Die Kleine musste sie ihrer Mutter und ihrer Schwester auf dem Hof überlassen, um weiter ihren Lebensunterhalt verdienen zu können. Sie arbeitete beispielsweise mehrere Saisonen im „Hotel Eller“ in Sulden und half regelmäßig im „Gasthof zum Löwen“, dem „Schupferwirt“ in Schlanders aus, dessen Chefin mit ihr befreundet war. Beim „Schupferwirt“ schaute öfters Franz Josef Wegmann (Jg.1932) bei ihr vorbei. Er war Witwer und hatte sieben Kinder, von denen viele noch unmündig waren. Kennengelernt hatte sie ihn bei einem Besuch ihrer Schwester im Gemeinschaftsstall in Schluderns. Er lud sie zum Pizzaessen ein. Es dauerte einige Zeit, bis sie seine Einladung annahm. Sie verliebte sich, und als er um ihre Hand anhielt, sagte sie sofort ja. Viele in ihrem Umfeld rümpften die Nase und rieten ihr von dieser Heirat ab. Denen sagte sie: „I heirat jo ihm unt nit di Kinder.“ 1979 gab sie ihrem Franz Josef das Ja-Wort und zog mit ihrer Tochter zu ihm nach Schluderns. Sie bemühte sich, der großen Kinderschar gerecht zu werden. Rückhalt bekam sie stets von ihrem Mann, mit dem sie innig verbunden war. „Mair hobm gor nia gstrittn“, betont sie. Es schmerzt sie, dass sie ihn in seinen letzten Lebensmonaten nur noch im Altenheim besuchen konnte. „Di Pflege drhoam hon i nimmer drpockt“, bedauert sie. Franz Josef starb 2022. Sie vermisst ihn sehr. Ihn geheiratet zu haben, hat sie nie bereut. Kurz nach seinem Tod bezog sie eine Altenwohnung im Schludernser Ortszentrum, wo sie sich wohl fühlt. Sie ist nahe am Friedhof, wo sie ihrem Mann eine Kerze anzünden kann. Auch der „Englwirt“ ist nicht weit entfernt. Dort trifft sie sich jeden Vormittag mit Freundinnen zum Kaffee. Etwas Sorgen bereiten ihr die Beine und sie braucht den Rollator. In der Wohnung versorgt sich Tresl größtenteils selbst. Viel Zeit verbringt sie beim Lesen. „I bin a richtige Leseratte“, betont sie. Sie liebt Heimatromane und freut sich, wenn ihr jemand solche vorbeibringt. „Dass i lai mit oan Aug lesn konn, steart iaz mitn Olter olleweil mea“, sagt sie. Mit ihren Schludernser Ziehkindern pflegt sie gute Kontakte. „Foscht olle schaugn pa miar vorbei, oder riafn oun, wenn a Festtog isch, odr wenn i Geburtstog hon“, freut sie sich. Ihr Heimathof am Lichterberger Berg ist inzwischen an deutsche Staatsbürger verkauft worden. Denn ihre drei ledigen Geschwister sind ohne Nachkommen gestorben. „Di Buabm hobm koane Frauen afn Hof aui-procht“, bedauert sie. Der Hof ist inzwischen umgebaut worden. Wie ihre alte Heimat heute ausschaut, will sie nicht wissen. „I will in Houf sou in Erinnerung koltn, wia er gwesn isch“, erklärt sie.

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