Vor genau zehn Jahren, am 14. Juli 2015, verabschiedete der Südtiroler Landtag das Landesgesetz Nr. 7 – ein Gesetz, das die Teilhabe und Inklusion von Menschen mit Behinderungen in allen Lebensbereichen fördern sollte. Heute, ein Jahrzehnt später, ist es Zeit für eine kritische Bilanz. Denn während das Gesetz in seiner Grundidee als „mutig und stark“ gilt, bleibt die Umsetzung in vielen Bereichen hinter den Erwartungen zurück. Von einem mutigen Gesetz und einer zögerlichen Umsetzung spricht zum Jahrestag das Team K.
Das Inklusionsgesetz hat zweifellos wichtige Impulse gesetzt: Es verankert das Recht auf Selbstbestimmung, auf barrierefreien Zugang zu Bildung, Arbeit, Wohnen und Freizeit. Es verpflichtet die öffentliche Verwaltung zur Achtung der UN-Behindertenrechtskonvention und sieht Maßnahmen zur Förderung der Chancengleichheit vor. Einige dieser Maßnahmen wurden auch umgesetzt. So wurden etwa niederschwellige soziale Dienste gesetzlich verankert, die ohne Aufnahmeverfahren und kostenfrei zugänglich sind. Auch die Terminologie wurde angepasst – diskriminierende Begriffe wie „Handicap“ sollen aus dem Verwaltungswortschatz verschwinden.Trotz dieser Fortschritte bleibt die Realität für viele Betroffene ernüchternd. Dieses Gesetz ist in seiner Grundidee stark und mutig, aber in der Umsetzung gibt es nach wie vor große Lücken. Diese Lücken zeigen sich besonders deutlich in drei Bereichen:
Arbeitsintegration: Zahlen, die nicht überzeugen
Zwar wurden in den letzten zehn Jahren rund 1.600 Menschen mit Behinderung in den Arbeitsmarkt integriert – doch dem stehen über 3.200 unbesetzte Pflichtstellen gegenüber. Besonders problematisch: Fast die Hälfte der aktuell arbeitsuchenden Menschen mit Behinderung ist über 50 Jahre alt. Für sie ist eine Umschulung oft kaum noch möglich. „Die Arbeitsintegration funktioniert in vielen Fällen nicht wirklich“, kritisiert auch Alex Ploner, Abgeordneter des Team K. „Es fehlt an nachhaltigen Konzepten, an individueller Begleitung und an echter Bereitschaft vieler Arbeitgeber, Menschen mit Behinderung langfristig zu beschäftigen.“
Selbstbestimmtes Leben und Wohnen: Vision ohne Fundament
Ein zentrales Ziel des Gesetzes war es, Menschen mit Behinderung ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen – auch im Bereich Wohnen. Doch laut dem Südtiroler Monitoringausschuss sind inklusive Wohnangebote nach wie vor Mangelware. Die Wahlfreiheit, wo und wie man leben möchte, bleibt für viele ein theoretisches Versprechen. „Das selbstbestimmte Leben und Wohnen steckt in Südtirol noch immer in den Kinderschuhen“, so Alex Ploner weiter. „Es fehlt an barrierefreien Wohnungen, an Unterstützungsdiensten und an politischem Willen, hier wirklich etwas zu verändern.“
Schulische Inklusion: Anspruch und Wirklichkeit klaffen auseinander
Besonders alarmierend ist die Situation in den Schulen. Zwar wurden in den letzten Jahren zusätzliche Stellen für Integrationslehrkräfte geschaffen doch laut dem Verein CONFAD (Eltern von Kindern mit Behinderung) bleibt die schulische Inklusion in Südtirol „rückständig und ineffizient“. Das Problem: Die Zuteilung von Ressourcen erfolgt nicht nach individuellem Bedarf, sondern nach starren Personalschlüsseln. Während das nationale Gesetz ein Verhältnis von 1:2 vorsieht, liegt es in Südtirol bei 1:6 oder schlechter. Das Ergebnis: Schüler:innen mit Behinderung erhalten oft nur minimale Unterstützung. „Auch die Inklusion in der Schule wird immer schwieriger“, warnt Alex Ploner. „Es fehlen Ressourcen, es fehlt an qualifiziertem Personal und es fehlt an einem ganzheitlichen Verständnis von Inklusion.“
Ein kleiner Lichtblick: Auf Antrag von Alex Ploner wurde kürzlich beschlossen, dass Schüler:innen mit Behinderung und ihre Eltern künftig fix in die Landesbeiräte für Schule und Eltern kooptiert werden Doch solche Fortschritte bleiben die Ausnahme. Die Regel ist: gute Absichten, schleppende Umsetzung.
Ein Gesetz braucht Taten
Zehn Jahre nach Inkrafttreten des Inklusionsgesetzes ist klar: Die Vision ist da – aber der politische Wille, sie konsequent umzusetzen, fehlt oft. Es braucht mehr als symbolische Maßnahmen. Es braucht konkrete Investitionen, verbindliche Zeitpläne und eine Verwaltung, die nicht nur verwaltet, sondern gestaltet. Denn Inklusion ist kein Gnadenakt. Sie ist ein Menschenrecht.