Aus dem Gerichtssaal - Nun, wo waren wir gleich stehen geblieben? Ach ja, an dem schicksalshaften Augenblick, als die gepfändete Kuh die Abhaltung der Versteigerung dadurch behinderte, dass sie den Gerichtsvollzieher beschiss! Dieser reagierte natürlich unwirsch auf den ungewöhnlichen Versuch, seine Amtshandlungen zu verzögern, indem er vorerst einmal ein paar italienische Fluchworte ausstieß, von denen „porca bestia“ und „porca vacca“, also „schweinisches Rindvieh“ die sanftesten waren. Nachdem er so seinem Ärger Luft und Schuhe sowie Beinkleid notdürftig mit Stroh und Heu vom Kuhdreck gesäubert hatte, schritt er zur Rekognoszierung, sprich Bestandsaufnahme der gepfändeten „Viecher“. Dabei stellte er fest, dass nur die drei Kühe, nicht jedoch die ebenfalls beschlagnahmten vier Kälber zur Exekution bereitstanden. Daraufhin knöpfte er sich den mit der Verwahrung der Pfandsache beauftragten Bauern vor und verlangte von diesem Aufklärung. Der wiederum verwies zur Rechtfertigung auf seinen arg geschrumpften Heuvorrat – wir, befanden uns in der zweiten Junihälfte! – und auf den um diese Zeit üblichen Almauftrieb. Der Exekutor war mit dieser Erklärung nicht zufrieden, ließ sich die Alm angeben und schritt vorerst zur Versteigerung der anwesenden Kühe. Wie erwartet kam es nun zu einem spannenden Schlagabtausch mit dem vom Gerichtsvollzieher organisierten Komplizen. Ich hatte gerade mal gezählte 200.000 Lire in der Tasche, musste jedoch so tun als ob mir unbegrenzte Mittel zur Verfügung stünden. Und so trieben wir uns munter bis auf 190.000 Lire in die Höhe, wo mich der Kumpan des Exekutors „hängen ließ“ und zu meiner Erleichterung das Feld räumte.
Im weiteren Verlauf des Tages wollte sich der Gerichtsvollzieher vom Bauern mit dem Traktor auf die Alm bringen lassen, um auch die dort „logierenden“ Kälber zu exekutieren. Dieser Versuch scheiterte jedoch an dem steilen und holprigen Weg dorthin, der dem Exekutor zu gefährlich schien. Er „revanchierte“ sich allerdings für das unter dem Strich für ihn fehlgeschlagene Vollstreckungsunternehmen in der Weise, dass er dem Bauern ein Strafverfahren wegen Verletzung der Aufsichtspflicht als Verwahrer der Pfandsache „anhängte“. Auch die Hauptverhandlung endete jedoch mit einer Schlappe für den Gerichtsvollzieher: Der Richter entschied, dass dem Bauern nicht zugemutet werden konnte, die gepfändeten Kälber nur wegen der besseren Erreichbarkeit für den Exekutor in seinem Stall zu behalten und sprach ihn frei. Die ganze „beschissene“ Geschichte nahm schlussendlich dadurch ein gutes Ende, dass der Bauer seine Schuld ratenweise tilgte, seine Tiere behalten konnte und die Zwangsvollstreckung eingestellt wurde.

Peter Tappeiner, Rechtsanwalt
(peter.tappeiner@dnet.it)

Publiziert in Ausgabe 12/2019

Aus dem Gerichtssaal - Diese Geschichte hat sich zugetragen als Schlanders noch ein eigener Gerichtsort war mit allen dazugehörigen Einrichtungen und Personalien. Der Sitz des Gerichts war in der Schlandersburg (Bild). Im Erdgeschoss, wo heute Landesämter untergebracht sind, befand sich das Gefängnis. Einer der Aufseher war der legendäre Hans Schönthaler, ein glühender Verfechter und Pionier des sog. offenen Strafvollzugs, soll heißen: sinnvolle Beschäftigung der Häftlinge anstelle von stumpfsinnigem Absitzen der Strafe. Die ihm anvertrauten Gefangenen hatten untertags „Freigang“, um sich bei den Bauern eine Marende und ein Taschengeld zu verdienen. Am Abend machte der Aufseher dann eine Runde durch die Gasthäuser, um seine Häftlinge einzusammeln und über Nacht wieder in sicheren Gewahrsam zu nehmen. Noch lieber war ihm jedoch, wenn er den Insassen des Tschumpus in seinem Weingut in Vezzan eine sinnvolle und nützliche Beschäftigungstherapie angedeihen lassen konnte.
Zum Stammpersonal des Gerichts gehörte auch ein Gerichtsvollzieher. Er stammte aus dem Süden Italiens, aus einer Stadt an einem wunderschönen Golf gelegen, in deren Hintergrund sich ein Vulkan erhebt. Zu den Besonderheiten dieser Stadt gehört, dass deren Bewohner wahre Künstler sind, weil sie die Kunst des Sich-Durchwurstelns („L‘arte dell’arrangiarsi“) meisterhaft beherrschen. Ich konnte mich persönlich einmal davon anlässlich eines Auftritts vor dem dortigen Gericht überzeugen, als mich am Eingang Männer ansprachen und mir ihre Visitenkarte in die Hand drückten, auf der ihr Name stand und als Beruf jener des „testimone oculare“, also des „Augenzeugen“ angegeben war! Nun, dieser Gerichtsvollzieher aus der Stadt am wunderschönen Golfe hatte auch so seine Eigenheiten. Eine davon war, dass er zu den Versteigerungen auch gleich die Käufer mitbrachte, welche die Pfandsachen in der Regel um einen Pappenstiel ersteigerten und dann gleich abtransportierten. Natürlich fiel dabei auch für den Exekutor ein fetter Brocken ab! Diese seine Gewohnheiten waren bekannt. Ich hatte in der Malser Gegend eine Zwangsvollstreckung laufen, bei der 3 Kühe und 4 Kälber zur Versteigerung anstanden. Schlimmes ahnend begab ich mich vorsichtshalber an den Ort des Geschehens. Tatsächlich warteten dort bereits die Komplizen des Exekutors mit einem Viehtransporter. Also beteiligte ich mich kurzerhand persönlich an der Versteigerung. Doch als der Gerichtsvollzieher den Bietvorgang mit den Worten:“ dichiaro aperta l’asta“, eröffnete, kam es zu einem Eklat: Eine der Kühe hob ihren Schwanz und schiss dem Exekutor eine lautere Flade geradewegs vor die Nase! Über den weiteren Verlauf der Versteigerung berichten wir in der nächsten Ausgabe!

Peter Tappeiner Rechtsanwalt

Publiziert in Ausgabe 11/2019

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