Dienstag, 13 November 2018 09:26

Vor 100 Jahren - Das Kriegsende im Vinschgau

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s32 1Im Juni 1918 wagte Kaiser Karl von Österreich eine Reise in den Vinschgau. Damals war das Grenzgebiet im Oberen Vinschgau mit der Ortlerfront auch in unmittelbarer Nähe eines Kriegsschauplatzes. Der Fotograf des Kriegspressehauptquartiers, der den Tross des Kaisers auf dieser Reise begleitete, war aber durchaus bemüht mit seinen Lichtbildern das Bild einer heilen Welt zu zeichnen.

Auf den zahlreichen Fotos, die den Kaiser mit Militärs, inmitten von Menschen, mit Kindern und wichtigen Persönlichkeiten zeigen, kann man noch nichts erahnen von den Ereignissen, die wenige Monate später eintreten sollten. Dass bereits damals im Vinschgau nicht mehr alles eitel Sonnenschein war, lassen die Worte des Abtes Leo Treuinfels von Marienberg vom Februar 1918 erahnen: „Wir leben noch immer im heiteren Sonnenschein; aber was wartet endlich unser? Noch kein Absehen, wann die Ruhe wiederkehrt!“
Am 3. November 1918 wurde nach dem mehr als vier Jahre dauernden Weltenringen der Waffenstillstand zwischen Österreich-Ungarn und Italien bzw. der Entente in der Villa Giusti bei Padua geschlossen. Dieser trat am folgenden Tag, dem 4. November, in Kraft. Welche unmittelbaren Auswirkungen hatte dieses Ereignis nun auf den Oberen Vinschgau?
Der spätere Burgeiser Pfarrer P. Sebastian Pamer hat als Zeitzeuge die damaligen Vorkommnisse für die Nachwelt protokolliert. So vermerkte er beispielsweise schon am 1. November: „Ton der Friedensstimmen und Bestrebungen Österreichs mit der Entente. Allerhand Gerüchte im Umlauf“ und bereits am darauffolgenden Allerseelentag notierte er einen „voreiligen Abschluss der Feindlichkeiten unsererseits auf das Gerücht vom abgeschlossenen Waffenstillstand“. In diesen Tagen begann ein geradezu überstürzter Abzug des österreichisch-ungarischen Militärs aus dem heutigen Südtirol und damit auch aus dem Vinschgau. Viele Soldaten entledigten sich auf diesem Rückzug schon ihrer militärischen Ausrüstung, indem sie sie entlang des Wegs über die Malser Haide einfach liegen ließ. Am 3. November notierte ein Geistlicher aus Mals: „Die s33 2ganze Nacht und heute rasen die Auto des Militärs gegen das Inntal. Auflösung der Front. Man spricht von Waffenstillstand! Große Angst der Bevölkerung vor dem nun kommenden Feind.“ Da Benzin in diesen Tagen absolute Mangelware war, blieben auf dem Straßenabschnitt zwischen Schluderns und Burgeis viele Autos einfach stehen und wurden zurückgelassen. Mehr Glück hatte der Kommandant der Ortlerfront, Moritz Erwin von Lempruch, der mit dem Auto als einer der ersten die Flucht antrat. Der Grauner Pfarrer Peter Paul Bernhard notierte über dessen Abzug verärgert in seiner Chronik: „Um 2h früh am 4. November 1918 kamen also Oberst Lempruch und Khüny Ferdinand in Angst und Zittern, sorgend für ihr Leben per Auto auf der Flucht nach Graun und meldeten dem Zugskommandanten Dr. Moritz, der Italiener sei durchgebrochen und sei nun schon in Gomagoi. In Reschen wollten die beiden Helden der Ortlerfront eine neue Front aufstellen gegen den Feind, sahen aber davon ab, als die zurückströmenden Soldaten, die wohlgemerkt erst am 4. November circa 4h früh vom Ortler weggingen, während ihre Kommandanten schon 2 Stunden vorher per Auto von Prad flohen, ihre Kommandanten drohten mit Recht in den Strassengraben zu befördern, was ihnen auch gebührt hätte.“
So zog das italienische Militär im Laufe des 4. Novembers 1918, einem Mittwoch, kampflos im Oberen Vinschgau ein. Jeder, der noch in einer Uniform des kaiserlichen und königlichen Heers angetroffen wurde, wurde verhaftet. Im Tauferer Weiler Rifair rannte damals eine Frau völlig außer Atem durch den Ortsteil und versuchte die dortige Bevölkerung mit folgenden Worten vor dem Einmarsch der Italiener zu warnen: „Leit! Rennt! Dr Walsch kimp ibrn Chavalatsch hee!“
Die Bevölkerung dürfte diese Umwälzung mit gemischten Gefühlen aufgenommen haben. Einerseits waren die Italiener eine fremde Besatzungsmacht, andererseits brachten sie Lebensmittel für die Bevölkerung mit und was in jenen Tagen noch viel schwerer gewogen haben dürfte: nach vier entbehrungsreichen Kriegsjahren herrschte endlich wieder Frieden. Man versuchte sichtlich das Beste aus dieser Situation herauszuholen. Die Gemeindevorsteher der Obervinschger Gemeinden erschienen am 5. November vor dem italienischen Kommando in Schluderns um den Stand der Dinge auszuloten und erhielten dort immerhin beruhigende Zusicherungen. Damals war der Vinschgau fast von der Außenwelt abgeschnitten: Die Vinschgerbahn fuhr wenn, dann nur ein- bis zweimal pro Tag, es gab keine Telefon- und Telegrafenverbindungen und es wurde auch keinerlei Post zugestellt. Zahlreiche Mitglieder des aufgelösten österreichisch-ungarischen Heers flüchteten in jenen Tagen nach dem Waffenstillstand durch den Vinschgau, um über den Reschen heimwärts zu ziehen. Während der Nächte kampierten die Soldaten entlang der Straße und in den Ortschaften, wo sie wegen der herrschenden Kälte Lagerfeuer unterhielten. Der bereits erwähnte P. Sebastian Pamer bemerkte dazu in seiner Chronik: „Auch an der Straße Mals-St. Valentin (Absetzhütte) sind zahlreiche Lagerfeuer, die sich bei der Nacht, wenn es nicht so traurig wäre, märchenhaft ausnehmen“. Am 8. November marschierte eine größere Abteilung Militär durch Burgeis und machte dort beim Mohrenwirt Halt, wo von den durstigen Soldaten der Weinkeller geleert wurde, sodass „manche des Guten zuviel bekamen und großen Furor zu machen anfingen“. Diese belastenden Durchzüge mussten gemäß Befehl des italienischen Armeekommandos bis zum 19. November abgeschlossen sein. Das Militär des Königreichs Italien hatte bis dahin schon eine Vielzahl an Besatzungstruppen in den Vinschgau geschickt. Es fehlte damals an Kohle und auch teilweise noch an Nahrungsmitteln. Daneben wütete unter der Bevölkerung die so genannte Spanische Grippe, die zusätzlich zu den ganzen zu beklagenden Kriegsgefangenen der letzten Jahre noch viele weitere Todesopfer forderte. Das über Jahrhunderte allgegenwärtige Machtgefüge der Habsburgermonarchie war mit dem Thronverzicht des Kaisers Karl am 9. November 1918 mit einem Schlag Geschichte geworden. Wie es weiter gehen sollte, war in jenen Tagen, Wochen und Monaten noch ungewiss. Die Gemeinde Taufers wagte damals einen sehr opportunen Schritt. Man schickte eine Eingabe an die Schweizer Regierung mit der Bitte, dass man sich als Gemeinde an die Schweiz anschließen möchte. Die Schweiz gab diesem Gesuch keine Folge und damit kam Taufers wie der ganze restliche Vinschgau nach fast zweijähriger italienischer Militärverwaltung mit der Annexion am 10. Oktober 1920 endgültig zu Italien.
David Fliri

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