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Natur&Landschaft: Die Ameisen - Sie sind stark, klein, schnell und arbeiten hart

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Ameisenhügel mit Roten Waldameisen (formica rufa) Ameisenhügel mit Roten Waldameisen (formica rufa)

Wolfgang Platter, am Tag des Hlg. Ulrich, 4. Juli 2025 

Ameisen bewohnen die Welt seit ca. 150 Millionen Jahren. In dieser Zeit entwickelten sie eine komplexe Lebensweise, die es ihnen ermöglichte, fast alle Lebensräume der Welt zu besiedeln. Menschen hingegen, startend mit dem Homo errectus, existieren erst seit ca. 1,8 Millionen Jahren. In dieser Zeitspanne hat sich viel verändert. Die Evolutionskraft brachte den modernen Menschen Homo sapiens vor etwa 300.000 Jahren hervor. Wir leben in Gruppen, sind sesshaft, bauen komplexe Behausungen und weisen eine Form von Intelligenz auf. Bei Ameisen ist es im Grunde genauso. Nur machen Ameisen das schon etwas länger als wir. Im Zeitalter der Dinoasaurier, als sich der Urkontinent Pangaea aufteilte, erschien die erste Vorfahrin der „modernen“ Ameise auf der Bildfläche.

Der nächste Evolutionsschritt fand für die Ameisen 50 Millionen Jahre später statt, als die blühenden oder bedecktsamigen Pflanzen (Angiospermen) sich ausbreiteten und sich in die vielen Pflanzenarten aufspalteten, die es heute gibt. Die Ameisen zogen mit. Das war kein Zufall und zeugt von den vielfältigen Interaktionen zwischen Ameisen und Pflanzen. Lebensräume wurden komplexer und viele neue ökologische Nischen bildeten sich. Und diese Lebensräume besiedelten die Ameisen und entwickelten sich auf dieser Basis für die nächsten 100 Millionen Jahre weiter. Die Anpassungen, die notwendig waren, mündeten in die rund 15.000 Arten, die wir heute kennen. Experten glauben, dass es noch mehrere Tausend Arten von Ameisen gibt, die wir noch nicht kennen, die noch nicht beschreiben sind und noch keinen Namen haben. Aber immerhin sind die Ameisen mit 15.000 verschiedenen und derzeit beschriebenen und benannten Arten dreimal so viele Arten wie alle 5.500 Säugetierarten zusammen. Ameisen leben in sozial organisierten Dauerstaaten mit Königin, Arbeiterinnen und Männchen.

In Europa kommen etwa 200 Ameisenarten vor. In Südtirol wurden bisher 60 Arten festgestellt. In unserem Land macht sich der Einfluss des mediterranen Klimas in der höheren Anzahl der Ameisenarten bemerkbar. Für Bayern wurden vergleichsweise nur 50 Arten beschrieben. Ameisen sind wechselwarm und daher auf Wärme angewiesen. Auf Island und Grönland gibt es keine Ameisen.
Die erste grundlegende Forschung über Ameisen in Südtirol betrieb der Franziskaner-Pater Vinzenz Maria Gredler (geb. 1823 in Telfs, gestorben 1912 im Franziskaner-Kloster Bozen). In seiner Arbeit „Die Ameisen von Tirol“ (1858) führte er für Südtirol 51 Arten auf, denen er 1863 in einem Nachtrag noch 3 weitere Taxa hinzufügte.

Körperbau
Ameisen gehören, wie Bienen, Heuschrecken und Käfer, zu den Insekten. Ihr Körper ist somit in die drei Abschnitte Kopf, Brust und Hinterleib gegliedert. Insekten haben 6 Beine und unterscheiden sich dadurch von den Spinnen. Spinnen haben 8 Beine. Ameisen haben geknickte Fühler. Die Fühler sind das wichtigste Sinnesorgan der Ameisen. Gerüche sind das Hauptkommunikationsmittel der Ameisen. Man könnte also sagen, die Fühler sind die Nase der Ameise. Die Fühler erlauben eine ganze Reihe von Sinneswahrnehmungen. Sie nehmen chemische, mechanische und thermische Reize wahr, ja bei manchen Ameisenarten sogar Magnetfelder.
Ihr Skelett tragen die Ameisen so wie alle Gliederfüßer außen. Es besteht aus Chitin, einer harten Hülle. Diese Chitin-Hülle hat Öffnungen nur als Drüsenausgang und zur Atmung. Ameisen besitzen nämlich keine Lungen, der Sauerstoff wird durch ein dichtes Netz von Tracheen im Körper verteilt. Merkmale zur Unterscheidung der einzelnen Arten sind die Färbung, die Behaarung und die Körperform, dann auch die Augen und die Beißwerkzeuge. Am Kopf der Ameise befinden sich neben den Fühlern auch die seitlich liegenden Facettenaugen. Diese Facetten- oder Komplexaugen bestehen aus vielen Einzelaugen, aus denen sich zusammensetzt, was die Ameise sieht. Ameisen besitzen darüber hinaus mit den Punktaugen noch einen zweiten Augentyp. Diese besonders lichtempfindlichen Organe dienen vermutlich der Licht- und Kompassorientierung. Bei den Beißwerkzeugen oder Mandibeln gibt es eine große Bandbreite an Ausformungen: Von kurz und gezackt, lang und schlank, gebogen und scharf ist alles vertreten. Die Mandibeln bei den Ameisen erfüllen den Zweck, den unsere Zähne in der Kombination mit unseren Händen erfüllen: Sie beißen damit, um Dinge zu zerkleinern und um sich zu verteidigen. Sie können damit aber auch graben und Dinge tragen.

Die zwei Arten von Entwicklungszyklen
Wir kennen bei den Insekten zwei grundlegend unterschiedliche Arten von Entwicklungszyklen. Einer davon ist die unvollständige Metamorphose: Bei dieser Gruppe, zu der etwa die Heuschrecken, Schaben und Wanzen zählen, sehen die Jungen, wenn sie aus dem Ei schlüpfen, in den Grundzügen bereits so aus wie die Erwachsenen. Sie durchlaufen vier bis acht Wachstumsphasen, wobei nach jeder Phase eine Häutung zur nächsten führt. Der andere Ameise melkt Blattläuse auf Honigtau; Fabio GalliEntwicklungszyklus ist die vollständige Metamorphose. Er ist den meisten von uns aus der Entwicklung der Schmetterlinge bekannt. Aus dem Ei schlüpft eine kleine Raupe, die viel frisst und wächst, sich schlussendlich mit Seide verpuppt. Im Kokon vollzieht sich eine komplette Umwandlung und heraus schlüpft der Schmetterling. Dieser gleicht der Raupe gar nicht und wächst auch fortan nicht mehr. Zu den Insekten mit diesem Entwicklungszyklus gehören zum Beispiel die Käfer, die Fliegen, die Netzflügler und eben auch die Ameisen.

Kastenwesen
In der Ameisenkolonie gibt es drei verschiedene Kasten: die Arbeiterin, die Königin und das Männchen. Im Tierreich gibt es unterschiedliche Möglichkeiten der Geschlechterbestimmung. Diese kann zum Beispiel bei einigen Kriechtieren durch Temperatur oder bei den Säugetieren durch Chromosomen stattfinden. Ameisen haben eine besondere Art entwickelt, um das Geschlecht des Nachwuchses zu entscheiden: Aus einem unbefruchteten Ei entwickelt sich eine männliche Ameise, aus einem befruchteten Ei entwickelt sich eine weibliche Ameise, also eine Arbeiterin oder eine Jungkönigin, die auch als Gyne bezeichnet wird. Ob aus einem befruchteten Ei eine Arbeiterin oder eine Gyne entwickelt, entscheidet sich durch die Behandlung der Brut, zum Beispiel unter welchen exakten Bedingungen sie gelagert und womit sie gefüttert wird. Arbeiterinnen können üblicherweise auch Eier legen. Da diese nicht befruchtet sind, schlüpfen daraus nur Männchen, was dem Fortbestand der Kolonie nicht dienlich ist. Mit den sogenannten trophischen Eiern können Arbeiterinnen aber besondere Eier legen. Diese sind eigens dafür ausgelegt, als Nahrung zu dienen. Sie bestehen aus besonders nahrhaften Inhaltsstoffen: höhere Mengen an Proteinen, Fetten und anderen Nährstoffen. Diese Eier kommen zur Anwendung, wenn Nahrungsknappheit in der Kolonie besteht.

Matriarchat
Der Ameisenstaat ist ein Matriarchat. Männchen übernehmen nach dem Befruchtungsflug mit den Königinnen keine aktive Rolle im Arbeitsalltag der Kolonie. Sie kehren vom Befruchtungsflug auch nicht mehr in die Kolonie zurück. Eine erfolgreich begattete Jungkönigin kehrt in die Kolonie zurück oder gründet eine eigene neue Kolonie, wirft die Flügel ab und beginnt mit der Eiablage. Ihr Körper ist mit der Spermathek für die Spermalagerung und den lebenslangen Spermaausschank ausgestattet. Eine Ameisenkolonie kann von einer einzigen Königin als sogenannte monogyne Kolonie geführt werden, es gibt aber auch Kolonien mit vielen Königinnen (polygyn).

Die Ameise als Landwirtin
Menschen jagen, sammeln und betreiben zu ihrer Ernährung Landwirtschaft einschließlich Nutztierhaltung. Ameisen tun dies auch. Arbeiterinnen im Außendienst machen Jagd auf lebende Tiere und sammeln sowohl tierische Überreste als auch Pflanzenteile und -produkte. Auch das Konzept der Landwirtschaft kannten Ameisen schon lange vor uns. Statt Kühe, Ziege, Schafe halten Ameisen Pflanzenläuse und andere Pflanzensaft saugenden Tiere, die statt Milch süßen Honigtau abgeben, das Hauptnahrungsmittel der erwachsenen Ameisen. Eine weitere und äußerst komplexe Form der Landwirtschaft haben die pilzanbauenden Ameisen entwickelt, dabei vor allem die Blattschneiderameisen, die im großen Stil einen Speisepilz züchten, der ihre Hauptnahrungsquelle darstellt. Ihre Völker mit bis zu zehn Millionen Individuen gehören zu den größten unter allen Ameisenarten.

Der Ameisenhügel
Ein Ameisenhügel mag vielleicht auf den ersten Blick wie ein zufällig aufeinander geworfener Haufen aus Erde und Nadeln wirken. Dieser Schein trügt. Jeder einzelne Erdklumpen und jede einzelne Nadel wurde von einer Ameise dorthin transportiert und bewusst platziert. Eine Architektin schlummert in jeder Ameise, und daher weiß diese genau, worauf es ankommt: Stabilität, genug Platz und ein optimales Raumklima der verschiedenen Nestbereiche müssen gewährleistet sein. Der Ameisenhügel bietet dem Ameisenvolk nicht nur Schutz vor den Elementen, sondern ist ein architektonisch komplexes Bauwerk, klima-optimiert und mit einem gedeckten Dach. Der sichtbare Teil des Ameisenhügels ist nur einer von drei Nestteilen: Boden, Baumstrunk und Hügel. Das Nest reicht in das darunterliegende Erdreich und zwar bis zu einer Breite und Tiefe von zwei Metern.

Schwarmintelligenz
Sind Ameisen intelligente Wesen? Die Frage nach der Intelligenz von nicht-menschlichen Wesen ist eine durchaus interessante, denn unser Konzept von Intelligenz richtet sich – wenig überraschend – nach menschlichen Kommunikationsmethoden. Eine einzelne Ameise ist mit einer Intelligenz ausgestattet, die ihr einfache Entscheidungen erlaubt. Jedoch ist es die Schwarmintelligenz, die Ameisen zu den erfolgreichsten Tieren macht, die sie sind: die kollektive Intelligenz der Kolonie, Entscheidungen zu treffen, um gemeinsam komplexe Probleme zu lösen. Diese Schwarmintelligenz gibt es etwa auch bei Fischarten wie Heringen und Thunfischen, aber auch bei Vögeln wie den Staren. Ameisen sind in der Fähigkeit, Situationen als Kollektiv zu meistern, kaum zu überbieten. Jede einzelne Ameise trifft nur eine simple Entscheidung, die erst in Summe zu einem hoch komplexen Ergebnis führt. Dabei ist ein Ameisengehirn keineswegs klein. Es umfasst rund 250.000 Gehirnzellen. Damit hat die Ameise das größte Gehirn unter allen Insekten. Es macht ungefähr ein Siebtel seiner Körpermasse aus. Im Vergleich dazu macht unser menschliches Gehirn nur etwa ein Vierzigstel unserer Körpermasse aus, allerdings verfügen wir über ca.100 Milliarden Gehirnzellen. Haben wir es mit einer größeren Ameisenkolonie zu tun (ab 400.000 Individuen), könnte man argumentieren, dass diese einem einzelnen Menschen als kollektive Schwarmintelligenz womöglich sogar intellektuell überlegen sein könnte.

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