Die Uhren der Gerechtigkeit

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Aus dem Gerichtssaal - Vorab möchte ich mich bei einigen Lesern des „Vinschgerwindes“ für die Hinweise bedanken, welche ich zu diesem Fall bekam, besonders bei Jakob Raffeiner aus Tschengls, Werner Altstätter aus Prad und Evelina Grissemann aus Eyrs. Als erstes konnte schon einmal der Zeitpunkt des Mordes exakt bestimmt werden, nämlich der 11. August 1888. Beim Opfer handelte es sich um den 33-jährigen praktizierenden Arzt und Hobbybotaniker Dr. med. Victor Schieck aus Döbeln in Sachsen. Er lebte dort in glücklichen Familien- und Vermögensverhältnissen. Im Sommer 1888 reiste er zu einer privaten Expedition in die Alpen, mit sorgfältig in Tagestouren aufgeteilter Wegstrecke. Am 26. August wollte er wieder zu Hause sein. Am 10. August übernachtete er im Gasthof Post in Mals, am Morgen des darauffolgenden Tages setzte er die Reise zu Fuß nach Schlinig und von dort über die Rasaßalpe in Richtung d’Uinaschlucht fort. An Wertsachen trug Dr. Schieck ca. 500 Mark in Napoleon d‘ors und eine goldene Taschenuhr bei sich. Als er am 26. August noch immer nicht in Döbeln eingetroffen war und die Familie seit dem 10.08. keine Nachricht mehr von ihm erhalten hatte, kam Unruhe auf. Ein Bruder des Vermissten begab sich daraufhin auf die Reise und kam am 5. September auch bis Mals, wo die Spur des Dr. Schieck sich verlor.
In einer Annonce im „ Tiroler Volksblatt“ versprach er eine hohe Belohnung demjenigen, der Hinweise auf den Verbleib des Vermissten geben konnte. In der Anzeige wurde auch auf eine wertvolle, goldene Uhr hingewiesen, welche der Verschollene getragen hatte und auf der dessen Initialen V.S. eingraviert waren. Ein glücklicher Zufall wollte es, dass diesen Aufruf auch der in Meran ansässige Uhrmacher Julian Jörg las, dem am 1. September eine solche Uhr zur Reparatur überbracht worden war. Der informierte die Gendarmerie, welche den Überbringer im 72 Jahre alten Schafhirten Jakob Kuen aus Tartsch identifizierte, der zusammen mit dem 34 Jahre alten Josef Schöpf aus Mals im Sommer 1888 auf der Rasaßalpe die Schafe hütete. Die beiden Hirten hatten sich schon anfangs September dadurch verdächtig gemacht, dass sie in Uina Kaffee einkauften und diesen mit einer für sie ungewöhnlichen Goldmünze bezahlten. Als dann im Zuge einer Hausdurchsuchung bei Kuen auch noch ein Feldstecher und andere persönliche Gegenstände des Dr. Schieck gefunden wurden, schnappten am 18. September die Handschellen an den Gelenken der Hirten zu. Die Schlinge um den Hals der Beiden wurde enger und die sie belastenden Indizien immer schwerer. Ihre Verteidigung: Der Deutsche Tourist ist in der Schlucht abgestürzt, wir haben zufällig seine Leiche gefunden und ihn um die Wertsachen „erleichtert“, die er bei sich trug. Eine erste Obduktion durch einen schweizer Gerichtsmediziner stützte die Behauptung der Schafhirten: Todesursache Schädelbruch durch Sturz von einer Felswand. Eine zweite Obduktion der Leiche, diesmal durch die medizinische Fakultät der Universität Innsbruck, erbrachte das Ergebnis, dass die Schädelverletzung durch einen Schlag mit einem Stock und nicht durch einen Fall hervorgerufen worden war. Alle übrigen Verletzungen wie auch die zerrissenen Kleider waren erst nach dem Tode zustande gekommen und durch eine Schleifung zur Absturzstelle zu erklären. Und nachdem der Steig dort völlig gefahrlos war, schied ein Tod durch Fall aus. Nach dieser Expertise der Innsbrucker Mediziner schloss sich die Schlinge um den Hals der Schafhirten. Sie wurden mit Urteil des Bozner Schwurgerichts vom 22. März 1899 des „meuchlerischen Raubmordes“ für schuldig befunden und zum Tod durch den Strang verurteilt.

Peter Tappeiner, Rechtsanwalt
peter.tappeiner@dnet.it

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