Gusti kam als bildhübsche, junge Frau von Schluderns nach Taufers im Münstertal. Sie wurde Mutter von drei Kindern. 25 Jahre lang umsorgte sie ihre Schwester, die mit dem Down-Syndrom lebte. Dann betreute sie auch ihren Mann in seinen letzten Lebensjahren.
von Magdalena Dietl Sapelza
Der schmerzlichste Moment in Gustis Leben war, als sie 1994 am Telefon vom plötzlichen Tod ihres Sohnes Jürgen erfuhr. Dieser war in München dem HIV-Virus zum Opfer gefallen, gegen den es damals noch keine lebensrettenden Medikamente gab. Besonders bitter war für sie und ihre Familienmitglieder, als sie die mit der Post zugeschickte Urne im Gemeindeamt abholen mussten. Dazu kam noch, dass der Ortspfarrer anfangs zögerte, den Beerdigungsgottesdienst mit einer Urne zu zelebrieren.
Als Tochter eines Schneiders wuchs Gusti mit vier Geschwistern in Schluderns auf. Die Bänke der Volksschulklasse teilte sie sich zeitweise mit über 30 Kindern mehrerer Jahrgänge. Die strengen Lehrer waren mit Strafen nicht zimperlich. Ihr erstes Geld verdiente sie sich als Kellnerin in Pontresina. Mit einem Teil des ersten Lohnes kaufte sie sich einen Mantel und einen zweiten für ihre Schwester. Den Rest gab sie daheim ab, wie es damals so üblich war. In der Zwischensaison daheim ging sie oft mit ihrer Freundin aus. Dabei begegnete sie dem Maler Paul Tischler (Jg. 1936) aus Taufers i. M., der sie nach allen Regeln der Kunst umwarb. Er lud sie zu Spritztouren mit seiner Vespa ein und war stolz auf seine schöne Begleiterin. Mit 18 Jahren wurde sie schwanger und brachte ihren Sohn Jürgen zur Welt. Um weiter in Pontresina arbeiten zu können, gab sie den Kleinen in die Obhut von Pauls Familie. Paul besuchte sie regelmäßig, und ein Jahr später führte er sie in Maria Trens zum Traualtar. Aus einer geplanten Hochzeitreise nach Venedig wurde nichts. „I bin bis haint nou nia in Venedig gwesn“, sagt sie. Die Frischvermählten bezogen zuerst eine Mietwohnung in Schluderns und dann in Taufers. Gusti und Paul wollten ihren kleinen Sohn zu sich nehmen. Doch die Großmutter und die Tanten gaben das Kind nicht mehr her. Gusti fügte sich. „Deis tat i haint nia mea“, betont sie. Oft tat es ihr weh, den Kleinen nur besuchen zu können. Die Geburt ihrer Tochter 1964 tröstete sie. 1969 kam ihr zweiter Sohn zur Welt. Liebevoll kümmerte sie sich um die beiden.
Paul bekam als Maler in der Schweiz nur Saisonbewilligungen. Zwischendurch musste er pausieren und übernahm Aufträge im Dorf. Als geselliger Mann liebte er die Abende mit Freunden, die er oft bis spät in der Nacht mit seinen Liedern unterhielt. Und er war leidenschaftlicher Jäger. Die Familie daheim musste oft lange auf ihn warten. Gusti lenkte sich bei Näharbeiten ab. Die meisten Kleider nähte sie selbst oder nahm Änderungen bei jenen Kleidern vor, die sie über einen Katalog bestellt hatte. „Deis, wos i pan Votr glearnt hon, isch miar zugute kemman“, erklärt sie. Sie war stets darauf bedacht, dass Farben und Formen gut aufeinander abgestimmt waren. Ein gepflegtes Äußeres war ihr immer wichtig. Das brachte ihr viele bewundernde, aber oft auch neidische Blicke ein. Nach Jahren in Mietwohnungen bezog die Familie 1985 ihr Eigenheim im Tauferer Ortsteil Pradatsch. „Selm hobmer fescht sporn gmiaßt“, erinnert sie sich. Um etwas zum Einkommen beitragen zu können, nahm sie eine Stelle in der HOPPE Müstair an. Eine Nachbarin beaufsichtigte die Kinder. Nach zwei Jahren gab sie die Arbeit auf. „Deis isch olz nit guat gongen“, meint sie.
Die Kinder wurden erwachsen und zogen aus. Die Enkel kamen ins Haus, und Gusti umsorgte sie. 1991 holte sie ihre jüngste Schwester Rosl von Schluderns zu sich nach Taufers. Diese lebte mit dem Down-Syndrom und bedurfte ständiger Beaufsichtigung. Ihr Mann Paul - inzwischen pensioniert - half ihr dabei und baute ein liebesvolles Verhältnis zu Rosl auf. Dann kam die Todesnachricht von Jürgen. Drei Jahre später im Jahre 1997 erlitt Rosl einen Schlaganfall und wurde zum Pflegefall. Gusti übernahm die Pflege unterstützt von ihrem Mann, bis sich bei ihm die beginnende Demenz bemerkbar machte. „I hon nor niana mea gean kennt unt oft greart“, sagt sie. Nach Rosls Tod 2022 war es dann ihr Mann, den sie rund um die Uhr betreute. In ein Heim wollte sie ihn nicht geben, obwohl sie mit ihren Kräften fast am Ende war. Immer wieder sagte sie zu ihren Kindern: „Soulong is drpock, schaug i a af ihm.“ Und sie schaffte es. Im Dezember 2023 schloss Paul daheim für immer seine Augen.
Die kräfteraubende Pflegearbeit in all den Jahren hat bei Gusti Spuren hinterlassen. Sie ist gebrechlich geworden und lebt zurückgezogen. Bei den Gängen ins Dorfzentrum ist der Rollator ihr Begleiter. Doch sie gibt nicht auf und kämpft - jetzt für sich selbst.