Spezial-Landwirtschaft: „Wir wollen erreichen, dass der Milchpreis die Produktionskosten deckt.“

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Markus Hafner, Milchbauer in Mals, ist als Übersetzer beim European Milk Board (EMB) tätig. Hafner hat Einblick in die Verhandlungen, die in eurpäischen Kommissionen in Brüssel stattfinden. Markus Hafner, Milchbauer in Mals, ist als Übersetzer beim European Milk Board (EMB) tätig. Hafner hat Einblick in die Verhandlungen, die in eurpäischen Kommissionen in Brüssel stattfinden.

Vinschgerwind: Sie sind als Übersetzer im European Milk Board (EMB), also in einer europaweiten Interessensgemeinschaft von Milchproduzenten, tätig und selbst Bauer. Was läuft in Brüssel?
Markus Hafner: Die Milchwirtschaft ist ein sehr komplexes Thema. In Brüssel beschäftigen wir uns mit diesem Thema als weltweites und im Besonderen mit der europäischen Milchwirtschaft. Aus meiner Sicht gibt es in der Milchwirtschaft 6 verschiedene Ebenen: der Weltmarkt, der europäische Markt, der italienische Markt, der Südtiroler Markt und dann noch der lokale Markt und als sechste Ebene die Hofkäsereien. Alle diese Ebenen sind wie Zahnräder in einem System. Auf dem Weltmarkt sind mit Europa, Amerika, Neuseeland und Australien 4 große produzierende Länder zu nennen.
Vinschgerwind: Bestimmen diese vier Länder den weltweiten Milchpreis?
Markus Hafner: Nein, den Milchpreis bestimmen die Weltkonzerne wie Lactalis, Friesland Campina, Nestlé und andere in Zusammenspiel mit den vier genannten Regionen. Im Jahr 2020 ist der Weltmilchmarkt seit Jahren ohne Quote, die Versprechungen, dass die Milch veredelt werde und dass die Bauern genügend Geld erhalten werden, haben sich nicht bewahrheitet. Der weltweite Milchpreis ist von 40 auf 20 Cent pro Kilogramm gesunken. In Europa ist der Milchpreis bei rund 32 Cent. Der niedrigste Milchpreis in Europa ist mit 22 Cent in Litauen der beste mit rund 35 Cent in Italien. Wichtig in diesem Zusammenhang sind allerdings die Produktionskosten, die in allen Ländern Europas erfasst sind. In den besten Gebieten, in Frankreich, in Deutschland und in der Lombardei machen die Produktionskosten rund 45 bis 49 Cent aus. Der Milchpreis in Italien liegt bei 35 Cent, das heißt es gibt eine Unterdeckelung – europaweit – von 12 Cent. Eines der Hauptargumente und Hauptzeile im EMB, welches vor 12 Jahren in Montechiari gegründet worden ist, ist: kostendeckender Milchpreis. Ziel ist es auch, weg von den großen Bauernbünden.
Vinschgerwind: Wie geht das EMB in Brüssel vor? Wir kann man sich diese Lobbyarbeit vorstellen?
Markus Hafner: Vor 12 Jahren hat uns die Politik ausgespielt. Uns wurde damals von der Politik gesagt, wenn die Holländer um 22 Cent produzieren können, die Spanier um 23 Cent, dann können das auch die Italiener. Wir haben mittlerweile Mitglieder in 18 Ländern Europas und die Schweiz ist auch Mitglied. Der Schweizer Martin Haab war im Vorstand beim EMB. Die Schweiz ist früher aus der Quote ausgestiegen und hat das Milchpreisdilemma vor den Europäern erlebt.
Vinschgerwind: Setzt sich das EMB für eine Milchquote ein?
Markus Hafner: Nein, die Quote ist kein Thema mehr. Aber das EMB setzt sich seit 2016 für ein Marktverantwortungsprogramm ein. Das heißt, wir Bauern können nicht endlos die Produktion steigern. Das zerstört den Markt, das will der Konsument nicht. Jeder Bauer hat eine bestimmte Verantwortung. Das erste Mal hat dieses Konzept der damalige Agrarkommissar Phil Hogan 2016 für 6 Monat eingeführt.
Vinschgerwind: Eine freiwillige Milchreduktion jedes einzelnen Bauern?
Markus Hafner: Richtig. In Italien ist das nicht gut angekommen, weil Italien ein Importland ist. 52.000 Betriebe in Europa haben sich für einen Lieferverzicht entschieden und der Milchpreis ist innerhalb eines Tages um 15 Cent gestiegen.
Vinschgerwind: Die Bauern haben für die nichtproduzierte Milch Geld erhalten.
Markus Hafner: Richtig. Das EMB möchte dieses Marktverantwortungsprogramm gesetzlich verankern. Dass es funktioniert, hat die Coronakrise gezeigt und zwar hier bei uns. Die Mila hat im Frühjahr einen freiwilligen Produktionsverzicht von den Bauern verlangt. Aus verschiedenen Gründen. Aber das ist genau, was EMB auf europäischer Ebene anvisiert.
Vinschgerwind: Erklären Sie uns die Vorgangsweise.
Markus Hafner: Es gibt ein Frühwarnsystem, die eine Milchkrise anzeigt, wie es bei der Mila der Fall war. Dieses Frühwarnsystem gibt es auch europaweit. Denn jede milchproduzierende Organisation muss jedes Monat die produzierten Milchmengen nach Brüssel melden. Der zweite Schritt kann ein Zwangslieferverzicht sein – um den Preis stabilisieren zu können.
Vinschgerwind: Ziel des EMB ist es, den Milchpreis in Richtung Produktionskosten zu führen?
Markus Hafner: Das ist unser Ziel. Die Produktionskosten sind bekannt. Nun gibt es mit der neuen Kommissionspräsidentin Ursula van der Layen Neues: Erklärtes Ziel ist es für Europa, bis 2050 klimaneutral zu werden. Auch die Landwirtschaft soll sich daran beteiligen.
Vinschgerwind: Was bedeutet das für die Milchproduzenten?
Markus Hafner: Der „Green Deal“ bedeutet auch „Nachhaltige Landwirtschaft“. Vom Jahr 2021 bis 2023 soll es eine Übergangszeit sein, die Beiträge werden weiterhin so wie gehabt fließen. Ab 2024 soll vieles anders werden.
Vinschgerwind: Was wird da anders?
Markus Hafner: Es gibt drei magische Zahlen: 25, 30 und 50. Im „Green Deal“ stellt man sich bis 2030 25 % mehr Biomilch vor. 30 % weniger Kunstdünger sollen eingesetzt werden und 50 % weniger Pestizide – bezogen auf das Jahr 2018. Das soll bis 2030 umgesetzt werden. Wir hatten im Vorstand einen Schock. Das wäre die Vision in Europa. Schon der Ansatz, 25 % mehr Biomilch ist für uns ein Problem. Derzeit sind es 8 % Biomilch in Europa. Die Wahrheit ist, dass wir 25 % Biomilch zu viel haben in Frankreich, Deutschland und Österreich. Das Problem ist, die Biomilch ist künstlich subventioniert und dies hat großen Einfluss auf den Milchpreis. Zum Kunstdünger: Unser Böden sind ohne Kunstdünger fertig. Zum Beispiel bei uns im Obervinschgau: Das Heu enthalten nicht viele Stoffe. Wir haben einen sandigen Boden. Bio ist also unheimlich schwierig bei uns. 50 Prozent weniger Pestizide wird ein Problem für die Obstwirtschaft. Das EMB ist nicht gegen einen „Green Deal“, aber es muss mit den Produzenten geredet werden und das Ziel muss es auch sein, einen kostendeckenden Preis erzielen zu können. Aber der politische Kontext in Europa ist äußerst kompliziert: Die europäische Politik interessiert es sehr wenig, dass Milchpulverpakete aus Europa den afrikanischen Markt zerstören, interessiert ist man allerdings, Handelsbeziehungen zu China und zu Kanada aufzubauen. Und der ländliche Raum? Dort sollen Glasfasernetze und schnelles Internet über 5 G forciert werden. Man muss also feststellen, dass über die Bauern andere Wirtschaftszweige enorm gefördert werden. Die Leute sollen verstehen, dass von den sogenannten Agrarsubventionen vieles in andere Wirtschaftszweige fließt.
Ich möchte etwas anführen: Wir Viehbauern sollen die Umwelt erhalten und pflegen. Der zweite Punkt ist, dass die Politik bestimmt, wie, was und wieviel wir produzieren sollen und das alles, ohne uns eine Preisgarantie geben zu können. Das stört uns – dagegen kämpfen wir im EMB.

Interview: Erwin Bernhart

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