Leerstände ermitteln, Siedlungsgrenzen ziehen

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LR Maria Hochgruber Kuenzer in Taufers i. M.: „Man darf künftig neues Bauland nur noch ausweisen, wenn der Leerstand genutzt ist“ LR Maria Hochgruber Kuenzer in Taufers i. M.: „Man darf künftig neues Bauland nur noch ausweisen, wenn der Leerstand genutzt ist“

Das neue Südtiroler Landesgesetz „Raum und Landschaft“, das vom Südtiroler Landtag am 8. Juni 2018 verabschiedet worden ist, tritt am 1. Jänner 2020 in Kraft. Erklärtes Ziel ist die Eindämmung des Boden-Verbrauchs und der Zersiedelung. Die Gemeinden müssen Gemeindeentwicklungsprogramme erstellen, Leerstände erheben, Siedlungsgrenzen ziehen, Zukunftsvisionen erarbeiten. Vom Land geförderte Starthilfen erhalten sieben Pilotgemeinden, darunter Taufers i. M. - als einzige im Vinschgau. Die erarbeiteten Leitlinien können dann als Leitfaden für andere Gemeinden dienen.

von Magdalena Dietl Sapelza

Wir können nicht mehr so weitermachen wie bisher und laufend neue Bauzonen im Grünen ausweisen. Denn Grund und Boden sind in Südtirol nicht unbegrenzt verfügbar. Manche Gemeinden sind als Katastralgemeinden so gut wie aufgebraucht, so zum Beispiel Bruneck. Das erklärte die Landesrätin für Raumordnung, Natur- und Denkmalschutz, Maria Hochgruber Kuenzer kürzlich bei der Informationsveranstaltung zum neuen Landesgesetz „Raum und Landschaft“ in Taufers i. M. Tatsache ist: Im Laufe der vergangenen Jahrzehnte ist es auf den verfügbaren grünen Flächen im Land immer enger geworden. Im Gegenzug liegt viel Baukubatur brach. Davon betroffen sind vor allem Orte im Vinschgau, wo die Realteilung ihre Spuren hinterlassen hat und verhedderte Besitzverhältnissen Entwicklungen bremsen.

Pilot-Gemeinde Taufers

Die Bürgermeisterin der Gemeinde Taufers i. M. Roselinde Gunsch Koch hatte sich um das Pilotprojekt beworben und den Zuschlag bekommen. Mit Hilfe einer Steuerungsgruppe wird nun in Taufers damit begonnen, die vom Gesetz geforderten Gemeindeentwicklungsprogramme zu erarbeiten. Weitere Pilotgemeinden sind Kurtatsch, Klausen, Corvara, Ratschings, Welschnofen und Lana. Die Erkenntnisse aus den Pilotprojekten können dann als Leitfaden für die anderen Gemeinden dienen. Denn alle Gemeinden sollen im Zeitraum von zwei Jahren Entwicklungsprogramme für ihre Orte erstellen. Es gilt Siedlungsgrenzen zu ziehen, die dann von der Landesregierung genehmigt werden und zehn Jahre Gültigkeit haben. Neues Bauland sollte, so Kuenzer, künftig erst dann ausgewiesen werden, wenn der Leerstand genutzt ist.

Leerstände und Siedlungsgrenzen

Die Gemeinden stehen vor zwei zentralen Aufgaben: Erhebung der Leerstände mit Ideen/Initiativen zu deren Nutzung und Abgrenzung des Siedlungsgebietes, in dem künftig Bautätigkeiten erfolgen können. Dabei muss das neue Bauland an das bestehende angrenzen. Gebaut werden darf künftig nur noch innerhalb des ausgewiesenen Siedlungsgebietes. Und dort entscheiden Bürgermeister und Gemeinderäte über die diversen Bauvorhaben. Innerhalb der Siedlungsgrenzen liegt der Fokus auf Nutzung von Flächen und ungenutzter Bausubstanz. Die Bebauung kann sich verdichten, Baulücken können geschlossen und bereits erschlossene Flächen intensiver genutzt werden. Der Ensembleschutz bleibt wie bisher bestehen. Dieser könnte sich sogar als positiv erweisen, weil keine Bauverdichtungen im größeren Stil mehr möglich sind. Es kann einem sozusagen niemand mehr „vorbauen“. Die bisherige Baukommission wird durch die „Gemeindekommission Raum und Landschaft“ ersetzt (siehe Grafik rechts).

Ausnahmen und Bedenken

Außerhalb der Siedlungsgrenzen ist neuer Flächenverbrauch nur dann möglich, wenn es keine vernünftige Alternative dazu gibt. Bauen wird hier zur Ausnahme für wenige, klar definierte Fälle. So dürfen außerhalb des Siedlungsgebietes grundsätzlich nur landwirtschaftliche Betriebe errichtet werden. Für die Erweiterung bestehender Bauten gebe es strenge Regeln, so Kuenzer. In touristisch entwickelten Gebieten dürfen –immer außerhalb der Siedlungsgrenzen – nur bereits bestehende Tourismusbetriebe erweitert werden.
Im neuen Gesetz liegt die Erklärung für die derzeitige Eile bei der Ausweisung von Tourismuszonen wie in Latsch, Feldthurns und Naturns. Es geht darum, noch schnell alle Hebel in Bewegung zu setzen, um das bestehende alte Gesetz zu nutzen.
Dass die Regeln nach Inkrafttreten des neuen Gesetzes zu lasch angewandt und regelmäßig Ausnahmen gemacht werden könnten, befürchten Kritiker in den Umweltverbänden und Oppositionsparteien. Sie erachten das Gesetz als schwammig, unausgereift und mangelhaft.

Bürgerbeteiligung gefragt

Das Gemeindeentwicklungsprogramm soll unter Einbeziehung von Bürgerinnen und Bürgern, Verbänden und Interessensgruppen erstellt werden. Unter den Gemeindebürgern sollte ein möglichst großer Konsens erreicht werden. Neue Nutzung von brach liegender Bausubstanz sollte im Einvernehmen mit den Besitzern erfolgen. Das wünscht sich Kuenzer. s7 grafik raumWichtig sei es, dass sich die Menschen mit dem Thema auseinandersetzen. Enteignungen seien kein geeignetes Mittel, um Leerständen neuen Nutzungen zuzuführen. „Durch das neue Landesgesetz Raum und Landschaft werden Verfahren einfacher, gehen schneller über die Bühne und werden bürgernäher“, so Kuenzer. Die Bürgermeister und Gemeinderäte müssten jedoch mehr Verantwortung übernehmen und sind gefordert auf die Leute zuzugehen.

Servicestelle für Bürger/innen

In jeder Gemeinde wird eine Servicestelle für Bau- und Landschaftsangelegenheiten eingerichtet. Diese wird den Bürger/innen künftig als einzige Anlaufstelle dienen. In der Servicestelle bekommen die Bauherren alle Informationen, alle benötigten Unterlagen und Auskünfte. Dort reichen sie auch alle Anträge ein. Von der Servicestelle aus werden die Verfahren gemeindeintern koordiniert. Es werden die notwendigen Gutachten eingeholt und auf die Einhaltung der Fristen geachtet. Derzeit laufen erste Schulungen für die Ansprechpartner in den Servicestellen.
Der Bauherr hat künftig auch das Recht, der „Gemeindekommission Raum und Landschaft“ sein Projekt zu erklären. Es wird also ein Baugespräch geben, bei dem Unstimmigkeiten ausgeräumt und gangbare Wege gesucht werden. Der Bauherr kann von der Kommission auch einen Lokalaugenschein verlangen. Eine landesweit einheitliche Regelung wird dafür sorgen, dass es keine unterschiedlichen Bestimmungen zum Beispiel in Sachen Baumasseberechnung oder Bauabständen mehr geben wird.

„Plattform Land“ bietet Hilfestellung

In Taufers i. M. wird ab sofort mit der Erhebung der Leerstände begonnen. Unterstützung dabei bietet die „Plattform Land“ - eine Südtiroler Allianz, gegründet 2013 vom Südtiroler Bauernbund und dem Gemeindenverband. „Wir bemühen uns um intelligente Flächennutzung und kümmern uns um Leerstandsmanagement“, sagte Geschäftsführer Ulrich Hellrigl beim Informationsabend. Man müsse mit den Bürgern sprechen, diese ernst nehmen, ihnen die Ängste nehmen, sie beraten und begleiten. Die „Plattform Land“ führte bereits 2017/18 in fünf ausgewählten Gemeinden in Südtirol Pilotprojekte zum Leerstandsmanagement durch. Dieses wird nun auf weitere Gemeinden in Südtirol ausgeweitet. Ziel ist es, die Attraktivität der Gemeinden zu steigern bei gleichzeitiger Einschränkung des Bodenverbrauchs.
Die Arbeitsphasen des Projekts umfassen folgende Schritte: Erfassung von Leerständen und Baulücken, Sensibilisierung der Bevölkerung für die Innenentwicklung mit dem Ziel, dem Ort Lebensqualität und Zukunft zu geben. Zu den weiteren Aufgaben zählen Anstoß und Moderation eines Entwicklungsprozesses unter Einbindung der Bevölkerung, damit so Bedürfnisse erhoben und klare Ziele definiert werden können.
Weiters übernimmt die „Plattform Land“ die Digitalisierung der Daten in Abstimmung mit dem Land Südtirol und dem Gemeindeverband im Hinblick auf die einheitliche GIS-Software.
Positive Erfahrungen bei der Beratung von Bürger/innen zusammen mit Experten (Architekten, KVW Arche) und mit anderen Hilfestellungen durch die „Plattform Land“ haben zum Beispiel die Stadt Glurns und die Gemeinde Truden gemacht.
„Wir haben aus der Not heraus gehandelt und alles daran gesetzt, dass leerstehende Gebäude wieder genutzt werden“, erklärte der Trudner Bürgermeister Michael Epp. Bei Bürgerstammtischen, die ganz bewusst in Gasthäusern abgehalten wurden, habe man der Bevölkerung den Sinn der Sache erklärt, diese umfassend informiert und den Bauwilligen auch eine kostenlose Bauberatung angeboten. Das Ganze trage nun bereits Früchte. „Die Stammtischgespräche haben sogar bewirkt, dass ein aufgelassenes Gasthaus unter neuer Führung wieder geöffnet wurde“, so Epp.

 

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