Leben mit der Maske

Roger Pycha Koordinator Netzwerk Psychischer Gesundheit im Sanitätsbetrieb und PSYHELP Covid 19 Roger Pycha Koordinator Netzwerk Psychischer Gesundheit im Sanitätsbetrieb und PSYHELP Covid 19

Sie gehört nun zum Alltag auf der ganzen Welt, wird wohl Vorschrift in Europa und ist in Italien Überlebensinstrument. Manche tragen sie lässig als Halstuch, ziehen sie bei Begegnungen wie Cowboys im Staub kaum über den Mund, werden nur für Sekunden zu echten Bankräubern und verhüllen die Nase dazu. Richtige chirurgische Masken sind rarer, auch weniger schick.

Wahrnehmungspsychologisch sind solche Tücher und Masken natürlich eine Entstellung des Gesichts. Beim Betrachten eines Antlitzes fokussiert der Blick zuerst auf die Augen, und dann auf die Mund-Nasenpartie (außer bei Autisten, die andere Teile des Gesichts für interessanter halten). Über die Augen wird vor allem der alarmierende und distanzierende seelische Zustand einer Person wahrgenommen, Angst, Schrecken, Niedergeschlagenheit. Wovor alle Menschen Angst haben, sind weit aufgerissene Augen – das wissen Horrorfilmregisseure ganz genau. Der Mechanismus funktioniert im Gehirn über den Mandelkern – Menschen mit angeborenen oder erworbenen Schäden in beiden Mandelkernen haben vor schreckgeweiteten Augen keine Angst, sind aber insgesamt auch gefühlsabgestumpft. Mund und Nase hingegen dienen dem Ausdruck der Sinnlichkeit. Verführerisches, verschmitztes, genießerisches Lächeln entsteht dort genauso wie Naserümpfen bei Ekel wegen eines anheimelnden oder schlechten Geruchs. Die Augen stehen für den Fernsinn des Sehens und für von weither kommende Gefahr, Mund und Nase für die Nahsinne des Riechens und Schmeckens, deshalb auch für Parfum, Erotik, Lippenkontakt, Körperlichkeit.

Genau diese Partie soll nun in der Öffentlichkeit verhüllt sein, aus hygienischen Gründen. Das ist wichtig und soll eingehalten werden, zu allererst und beispielhaft von unseren Politikern, wenn sie es mit dem Schutz ernst meinen. Wenn sie den Virologen und Epidemiologen glauben. Es macht allerdings aus uns etwas andere Menschen, mit anderen sozialen Antennen. Gesichter werden weniger gut erkannt, siehe Bankräuber weiter oben. Die Mimik ist weitaus schlechter verständlich, weniger eindeutig, und vor allem viel weniger einladend. Die gedämpfte Stimme würde nahelegen, näher zu treten, um besser zu hören. Der verhüllte Mund und die hoffentlich mitverborgene Nase (sie scheidet beim Ausatmen besonders viel Tröpfchen in gezieltem Strom aus) gebieten Distanz und signalisieren Ansteckungsgefahr.

Ein bisschen entführen uns die Bestimmungen in den Orient. Wir achten, allerdings bei beiden Geschlechtern, besonders auf die Augen. Wir fühlen uns, vielleicht wie muslimische Frauen unter dem Schleier, in der Atmung behindert, wie unter Sauerstoffmangel, und in unserer Sprache etwas beeinträchtigt. Wir freuen uns, in der Wohnung oder allein im Freien endlich die lästigen Masken ablegen zu können. Das eigene Zuhause und die verlassene Natur bekommen den Mehrwert des freien Atmens, die Menschen, mit denen wir zusammen leben den Mehrwert möglicher Berührung, Zärtlichkeit wird noch privater und intimer.

Selbstverständlich wollen wir auf Dauer nicht so leben. Aber eine Zeitlang, im Kampf gegen feindliche Lebensprinzipien, halten wir das aus. Wir müssen eine Mode daraus machen. Dort aber, wo vor Nachlässigkeit Gefahr droht, wo im Gedränge Sicherheitsabstände fallen und Masken unter Nase oder gar Kinn gleiten, gäbe es ein einfaches, soziales, allgemein verständliches Warnsignal: Wer immer das bemerkt, hebt den Zeigefinger gegen den Himmel. Damit schwärzt er niemanden an, weist aber sofort alle Umstehenden auf bestehende Gefahr hin. Es würde an die Stelle des freundlichen Satzes treten, der etwa so lauten könnte: „Verzeihen Sie bitte, aber ich fühle mich durch Ihr unvorsichtiges Verhalten in meiner Gesundheit gefährdet“. Wollte jemand dann rasch seine Maske zurechtrücken, über die Nase hinauf, und signalisieren, es tue ihm Leid, könnte er /sie (Männer sind unvorsichtiger als Frauen) einfach beide Hände offen heben, anstelle des Satzes: „Es tut mir Leid, ich war nicht vorsichtig genug.“ Beides wäre als Abfolge von Zeichen lautlos und rasch wirksam, ein schneller, klarer Diskurs. Er würde auf der ganzen Welt verstanden. Man müsste bloß damit beginnen. Am ehesten jetzt.

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