Nationalpark Stilfserjoch - Der Kolkrabe - unbeliebt, aber intelligent

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Kolkraben sind hochinteligent und können sich sprachlich differenziert verständigen. Foto: Vittorio Ricci Kolkraben sind hochinteligent und können sich sprachlich differenziert verständigen. Foto: Vittorio Ricci

Wolfgang Platter, am Tag des Hlg. Johannes d. Täufer, 24. Juni 2023

 

Raben sind unbeliebt, aber hochintelligent. Paul Flora, der große Glurnser hat sie unzählige Male gezeichnet. In der Verhaltens- und Kognitionsforschung sind die Raben ein bevorzugtes Studienobjekt und inzwischen eine feste Größe.
Mit der dialektalen Bezeichnung „Ropp“ meinen wir die Rabenkrähe (Corvus corone). Den Kolkraben (Corvus corax) heißen wir „Jochropp“.
Kolkrabe und Rabenkrähe sind nur zwei Vertreter aus der Vogelfamilie der Rabenvögel oder Krähenverwandten (Corvidae). Die Krähenverwandten sind mittelgroße bis große Sperlingsvögel mit starken Füßen und kräftigem Schnabel. Diese Vogelfamilie umfasst in Mitteleuropa insgesamt zehn Arten.

Artenspektrum
Die Kolkraben sind die größten unter den Rabenvögeln. Sie beeindrucken mit einer Flügelspannweite von bis zu 120 Zentimetern. Die Rabenkrähe, verwirrenderweise oft nur „Rabe“ genannt, ist dem Kolkraben sehr ähnlich, allerdings nur halb so groß, genauso wie die Nebelkrähe (Corvus cornix), benannt nach ihrem grauen Rumpfgefieder. Nebelkrähe und Rabenkrähe sind Schwesternarten und verpaaren sich auch untereinander. Saatkrähen (Corvus frugilegus) erkennt man daran, dass sie rund um den Schnabel keine Federn haben. Das hängt damit zusammen, dass sie viel im Boden herumstochern. Bei den Saatkrähen handelt es sich um eine koloniebrütende Art von bis zu mehreren Hundert Individuen je Trupp. Im Gegensatz zu den territorialen und paarweise brütenden Krähen-Arten legen Saatkrähen ihre Nester nämlich dicht nebeneinander in Bäumen an.
Und dann gibt es noch die bunten Rabenvögel, die wie Kolkraben, Raben- und Nebelkrähe einzeln in Paaren oder kleineren Trupps zu beobachten sind: die Elster (Pica pica), den Eichelhäher (Garulus glandarius) und den Tannenhäher oder dialektal die „Zirbmgratsch“ (Nucifraga caryocatactes). Dazu park2kommen noch die beiden Gebirgsarten Alpendohle (Pyrrhocorax graculus) und die Alpenkrähe (Pyrrhocorax pyrrhocorax) mit ihren leuchtend gelben bzw. roten Schnäbeln. Als zehnte Art bleibt noch die Dohle (Corvus monedula) zu nennen. Aus den Glurnser Stadtmauern ist die Dohle von den Haustauben verdrängt worden. Am Fröhlichsturm in Mals fliegt sie noch und an der Kirche beim Großen Herrgott von Agums brütet sie.
Die Krähenverwandten sind hoch entwickelt, wachsam und lernfähig. Bei den Rabenvögeln sind die beiden Geschlechter gleich gefärbt. Rabenvögel sind Allesfresser. Sie nehmen Insekten, Samen, Nüsse, Beeren, Abfälle, Eier und Jungvögel anderer Arten. Ihre Nester bauen sie als Reisignester meist in Baumkronen, aber auch in Felsspalten und auf Felsvorsprüngen.

Kulturfolger und Aasverwerter
Die meisten Rabenvögel, so auch der Kolkrabe, sind wie etwa die Tauben, Kulturfolger: Sie fühlen sich auch in der Nähe der menschlichen Siedlungen wohl. Weil dort für sie einiges abfällt, in erster Linie Müll. Was uns schon verdorben erscheint, ist dem Aasfresser ein Leckerbissen. Raben sind ungeheuer anpassungsfähig, auch im Suchen und Erschließen von Futterquellen. Unter anderem deshalb sind sie in derart unterschiedlichen Lebensräumen weltweit zu Hause. Der Kolkrabe schlägt auch verlassenen oder schwaches Jungwild. Gelegentlich holt er sich auch frische Lämmer von Schafherden und frisst gern die Nachgeburt der Schafe, daneben Kleinsäuger und Insekten, aber auch vegetabilische Nahrung. Der Kolkrabe ist ein bedeutender Aasverwerter. Handelt es sich bei der Beute allerdings um größere Säugetiere, stehen die Kolkraben vor einem Problem: Mit ihren Singvogelschnäbeln können sie nicht durch die Haut großer Tiere eindringen. Dazu brauchen sie die Hilfe von Fuchs, Bär, Wolf oder Adler, die die Haut des Beutetieres aufreißen und den Kadaver öffnen können. Ist dies nicht gegeben, dann beginnen Raben mit ihrem Mahl dort, wo sich die feinsten Hautschichten am Körper befinden – rund um die Körperöffnungen wie Augen, Maul und After.

Der schlechte Ruf
Insofern ist die Beobachtung der Menschen richtig, die den Raben ihren schlechten Ruf eintrug: Raben pecken anderen tatsächlich die Augen aus. Das tun sie, weil sie sich nicht anders behelfen können, einen toten Körper aufzubrechen. Die Literatur sagt dezidiert, sie tun das nur bei Toten. Bei lebendigen Tieren komme das nicht vor. Von vorn zu attackieren, wäre viel zu gefährlich. Im Angriff kommen Raben immer von hinten. Schafhalter und Hirten erzählen mir aber, dass Kolkraben auch frische lebende Lämmer etwa auf Herbstweiden an den Augen attackieren.
In der nördlichen Hemisphäre spielen Rabenvögel eine große Rolle als Aasverwerter. In Europa, das so lange von Kriegen geprägt war, sind die Geschichte der Raben und unsere menschliche Geschichte eng verwoben. War eine jener blutigen Schlachten geschlagen, blieben unzählige Körper auf den Feldern zurück: jene der Rösser und jene der Soldaten. Raben tauchten als Schlachtvögel, Galgenvögel, als Götterboten in den Erzählungen auf.

Intelligenz und Neophobie
Thomas Bugnyar ist Professor und aktueller Leiter des Departements für Verhaltens- und Kognitionsbiologie an der Universität Wien. Mit seinem Team von Wissenschaftlern und Diplomanden forscht er seit Jahren an Kolkraben an der Forschungsstation Haidhof in Bad Vöslau und an der von Konrad Lorenz gegründeten Forschungsstelle Grünau im Almtal. In seinem neuen Buch „Raben. Das Geheimnis ihrer erstaunlichen Intelligenz und sozialen Fähigkeiten“ (Brandstätter-Verlag Wien 2022) stellt Bugnyar einige der inzwischen umfangreichen Forschungsergebnisse vor. park3Rabenvögel sind diejenige Tiergruppe, die mit den Papageien laut aktueller Literatur am ehesten an die kognitiven Leistungen der Primaten oder Menschenaffen herankommen.
Die Scheu der Raben erklärt Bugnyar mit ihrer evolutionär bedingten Skepsis bzw. „Angst“ vor Neuem. Dieses als „Neophobie“ bezeichnete Verhalten ist weniger die Angst als die Vorsicht des Aasfressers: Als Tier, das gut von den Nahrungsquellen anderer lebt, ist es sinnvoll, ständig auf der Hut zu sein, ob derjenige, potentiell Stärkere, der die Beute erlegt oder davon gefressen hat, nicht doch noch ein Interesse an den Resten der Mahlzeit zeigt. Und man als Rabe somit leicht zur Beute werden kann.

Teamwork
Kolkraben pirschen sich zur Verdrängung von größeren Beutekonkurrenten in der Gruppe und als Team an das Aas heran. Hat ein Rabe eine Beute erspäht, verständigt er durch Rufe die Mitglieder seiner Gruppe, die sich sofort zum Verdrängungsnörgeln am Aas einfinden und etwa den Fuchs vergrämen. Haben Raben aber erst einmal von der Beute Besitz genommen, hört ihr Altruismus zu ihren Artgenossen schlagartig auf. Sie hacken schnabel- und kehlsackgroße Fleischbissen heraus und fliegen damit in ein Versteck. Raben betreiben nämlich Vorratshaltung. Professor Bugnyar konnte mit seinen Diplomanden beweisen, dass Kolkraben dabei tricksen: Artgenossen, die sie beim Verstecken der Beute beobachten, tricksen sie z.B. aus, indem sie falsche Fährten legen.

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