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Spezial-Bauen: Architektur-Interview mit Architekt Alexander Tartarotti

„Die Landschaft im Vinschgau hat mich geprägt“

von Angelika Ploner
Über die Landesgrenzen hinaus hat der Vinschgerwind dieses Mal für die Interview-Reihe „Vinschger Architekten im Gespräch“ geblickt. Architekt Alexander Tartarotti, gebürtig aus Latsch, lebt und arbeitet in Bern, führt aber auch Bauten im Vinschgau in seinem Portfeuille. Architektur ist für ihn ein bisschen wie Lego spielen, sagt er unter anderem. Und: Der Vinschgau habe seinen Blick auf Räume und Formen beeinflusst.
veröfftl. am 15. September 2025

Alexander Tartarotti aus Latsch, Architekturstudium im Tessin, arbeitet und lebt in Bern

Vinschgerwind: Herr Tartarotti, beginnen wir mit einer persönlichen Frage: Wie sieht Ihr Zuhause aus? Wie wohnen Sie?
Alexander Tartarotti: Ich lebe mit meiner Frau und unseren zwei Kindern in einem denkmalgeschützten Reihenhaus in Bern. Das Haus ist 120 Jahre alt und wurde ursprünglich für städtische Beamte gebaut.

Vinschgerwind: Ihre Wurzeln liegen im Vinschgau, genauer in Latsch. Sie wohnen und arbeiten aber bereits viele Jahre in Bern. Was haben Sie für Ihre Arbeit als Architekt vom Vinschgau mitgenommen?
Alexander Tartarotti: Die Landschaft im Vinschgau hat mich ganz sicher geprägt. Ich glaube, mein Verständnis für das Schöne in der Natur konnte ich mitnehmen. Es beeinflusst bis heute meinen Blick auf Räume und Formen.
In meiner direkten Nachbarschaft in Latsch lebten viele Handwerker. Ich durfte bei ihnen ein- und ausgehen und oft mithelfen. Zusammen mit dem Baumarkt meines Vaters hatte ich als Kind viele Möglichkeiten, meine Ideen mit unterschiedlichen Materialien umzusetzen. Diese Erfahrungen haben mir sicherlich geholfen, ein gutes Gespür für Materialien und deren Verarbeitung zu entwickeln.

s38 Lahnhof 2007 2024Vinschgerwind: Vuotovolume: Warum diese Namensgebung für Ihr Büro in Bern?
Alexander Tartarotti: Wir sind drei Partner und haben uns während des Architekturstudiums an der Universität im Tessin kennengelernt. Der Name vuotovolume ergibt sich aus unserem gemeinsamen Interesse an Räumen, die zwischen Volumen entstehen - an Zwischenräumen, Umräumen, Leerräumen.
Uns fasziniert nicht nur das Gebaute an sich, sondern auch das, was dazwischen liegt. Dieser „leere“ Raum ist für uns ebenso bedeutungsvoll wie das Volumen selbst. Es ist ein ständiges Spiel zwischen dem Vollen und dem Leeren, zwischen Körper und Zwischenraum - genau diese Spannung versuchen wir in unserer Arbeit bewusst zu thematisieren.

Vinschgerwind: Eines Ihrer ersten Projekte war 2007 der Neubau des Einfamilienhauses und landwirtschaftlichen Betriebes „Lahnhof“ in Vetzan. Was gefällt Ihnen auch nach 18 Jahren noch gut an diesem Projekt?
Alexander Tartarotti: Ich finde, das Gebäude ist sehr schön gealtert - es steht heute weiterhin sehr stimmig in der Landschaft. Besonders zufrieden bin ich aber mit der Art und Weise, wie wir damals die Beschattung gelöst haben.
Heute sieht man viele spannende und formal überzeugende Architekturprojekte, doch tagsüber sind sie oft hinter geschlossenen Rafflamellen verborgen, weil die Sonneneinstrahlung es sonst unmöglich machen würde, die Räume zu nutzen. Beim Lahnhof hingegen bleiben die Fenster das ganze Jahr über offen - und damit auch der Bezug zur Umgebung und die Aussicht erhalten.
Diese einfache, aber wirkungsvolle Lösung freut mich bis heute, weil sie zeigt, wie durchdachte Architektur den Alltag tatsächlich verbessern kann.

Vinschgerwind: Das jüngste Projekt ist das Zweifamilienhaus „Gartenheim“ in Latsch, das erst vor wenigen Monaten fertig gestellt wurde. Es ist ein reines Vollholzhaus, das in Zusammenarbeit mit dem renommierten Unternehmen holzius realisiert wurde. Ein Bau, der ins Auge fällt. Was hat Sie bewogen ein Vollholzhaus mit Schindeln zu planen? Was waren Ihre Ideen dahinter und wie lautet Ihr architektonisches Konzept?
Alexander Tartarotti: Ziel war es, den althergebrachten Holzbau gleichzeitig als zukunftsweisendes Konzept ins Dorf zurückzubringen, indem die traditionelle Bauweise sowohl in ihrer Formensprache als auch in ihrer konstruktiven Verwendung in die Gegenwart und Zukunft überführt wird.
Im Erdgeschoss sollten Einblicke von außen durch Einschnitte erschwert und die Ausblicke gezielt vorbei an den umliegenden Häusern zum Sonnenberg und Nördersberg gelenkt werden.
Unter dem markanten Schindeldach liegt das Obergeschoss, die zweite Wohnung. Nach außen verschlossen, öffnen sich die Räume nach innen über ein geschütztes Patio. Der Sonnen- und der Nördersberg bleiben als gezielte Ausblicke erhalten. Ein komplettes Loslösen vom Ort, sich in die Mitte des Dorfes zu setzen und das Gefühl zu haben, es gäbe um einen herum nur die Berge.
Ziel war es, zwei getrennte Wohneinheiten unter einem Dach zu vereinen, wobei die individuelle Privatsphäre bestmöglich gewahrt bleibt.

s38 Gartenheim 2024 01Vinschgerwind: Erkennt man einen Bau, der von Ihnen geplant wurde? Ist an Ihren Gebäuden eine persönliche architektonische Handschrift ablesbar?
Alexander Tartarotti: Ich glaube nicht, dass ich eine formell erkennbare architektonische Handschrift habe.
Meine Handschrift liegt mehr in der Detailverliebtheit und der Einbindung des Ortes und der Umgebung. Jeder Ort, jede Aufgabe und jede Bauherrschaft bringt ganz eigene Bedingungen und Themen mit sich, daraus entsteht immer wieder etwas Neues, Einzigartiges.

Vinschgerwind: Ganz allgemein gefragt: Architektur ist für Sie?
Alexander Tartarotti: Architektur ist für mich ein bisschen wie Lego spielen. Man beginnt mit einer Idee oder einer Aufgabe - und dann beginnt das Ausprobieren: variieren, verwerfen, neu denken, immer wieder neu zusammensetzen. Es braucht Ausdauer, Geduld und das Dranbleiben, bis sich eine Lösung zeigt, die sich richtig anfühlt.
Und wenn diese Lösung dann nicht nur für mich, sondern auch für die AuftraggeberIn und das Umfeld stimmig ist - dann ist das ein sehr erfüllender Moment.

Vinschgerwind: Was sind Ihrer Erfahrung nach die häufigsten Fehler, die beim Bauen gemacht werden?
Alexander Tartarotti: Einer der häufigsten Fehler ist aus meiner Sicht, dass zu früh zu viel festgelegt wird, oft ohne das Potenzial des Ortes, die tatsächlichen Bedürfnisse oder die langfristigen Auswirkungen wirklich zu hinterfragen. Man will schnell zu einer Lösung kommen, statt sich genügend Zeit für das Verstehen der Aufgabe zu nehmen.
Und schließlich wird der Dialog häufig unterschätzt: zwischen Bauherrschaft, PlanerInnen, Behörden, HandwerkerInnen. Gute Architektur entsteht im Austausch. Wenn dieser Prozess ernst genommen wird, können viele Fehler vermieden werden.

Vinschgerwind: Auf welches Ihrer Projekte sind Sie besonders stolz?
Alexander Tartarotti: Ich glaube, bei fast allen Projekten gibt es Aspekte, auf die ich mehr oder weniger stolz bin. Jedes hat seine eigene Geschichte, seine Herausforderungen und auch seine besonderen Momente. Aber die Möglichkeit, ein Holzhaus in meinem Heimatdorf zu realisieren, war für mich schon etwas Besonderes. Es war nicht nur architektonisch spannend, sondern auch kulturell und emotional bedeutungsvoll.

Vinschgerwind: Wenn Sie in den Vinschgau blicken: Welcher Bau beeindruckt Sie besonders?
Alexander Tartarotti: Jedes Mal, wenn ich über die Grenze in den Vinschgau fahre und an der Kirche St. Johann in Taufers vorbeikomme, denke ich mir: Wie schön sie doch ist. Die Proportionen sind für mich nahezu perfekt. Auch der kleine Platz davor, trotz der nahen Straße, hat eine besondere Wirkung. Für mich ist das ein stimmiger Ort. Und in dem Moment weiß ich immer: Jetzt bin ich wieder in meiner Heimat.

s38 Habstetten 2024Vinschgerwind: Die obligate Frage am Ende jeden Architektur-Interviews vom Vinschgerwind: Was wäre ein Traum für Sie? Was würden Sie gerne einmal planen und bauen?
Alexander Tartarotti: Ein Museum - das wäre ein Traumprojekt für mich. Es war schon während meines Architekturstudiums ein Schwerpunkt und begleitet mich seither als Thema.
Einen Raum für Kunst zu entwerfen, ein Gebäude, das nicht nur den Ausstellungsinhalten gerecht wird, sondern auch den Umraum prägt und mit ihm in Dialog tritt - das wäre eine besondere Herausforderung. Und eine, die mich sehr reizen würde.