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Kultur

Rätselhafte Fresken in der St. Nikolauskirche bei Burgeis

von Peter Tscholl
veröfftl. am 25. November 2025

Sirene, Nixe oder Nymphe? (Archiv Heinrich Moriggl)

Zur Vinschger Kulturgeschichte gehören insbesondere die vielen romanischen Kirchen. Im Obervinschgau finden sich kulturgeschichtlich bedeutsame Kirchen und Kapellen aus dem hohen Mittelalter. Auf der Malser Haide steht das romanische Kirchlein St. Nikolaus, ein Kulturschatz von großem historischen und kulturellen Wert.

Die St. Nikolaus Kirche
Eine Inschrift weist auf eine erstmalige Weihe um 1199 hin. Durch Goswin von Marienberg ist noch eine spätere Weihe der Kirche überliefert. „Im Jahre des Herrn 1358 am Tag nach Mariä Geburt weihte Bischof Peter von Chur die Kapelle des hl. Nikolaus in Burgeis in Calcadüre“.
St. Nikolaus bei Burgeis ist eine der wenigen Chorturmkirchen, die wir im Vinschgau haben. Die ursprüngliche Kirche wurde im 16. Jahrhundert erweitert. Es wurde eine gotische Balkendecke eingezogen, an der die Jahreszahl 1523 festgehalten wurde. Das Faszinierende in der Kirche St. Nikolaus bei Burgeis sind zweifellos die romanischen Fresken, die von den Marienberger Meistern beeinflusst sind.
Der Vinschgau war lange Zeit ein armes Gebiet, die Barockisierung kam nicht so schnell ins Land und deshalb sind noch vielerorts die alten Fresken erhalten geblieben. Ein Glück, wenn man dies aus heutiger Sicht betrachtet, denn somit kann man leichter in die Vergangenheit schauen. In der Romanik sind noch die ganzen metaphysischen, religiösen Ansichten in einer ursprünglichen Weise überliefert, vor allem auch im künstlerischen Ausdruck. Die wertvollen, romanischen Fresken waren lange Zeit unter Tünche versteckt, darunter auch ein besonders schöner Christus in der Mandorla. Sie wurden erst bei Restaurierungsarbeiten wieder freigelegt. Rätselhaft bleiben die Fresken an der Apsiswand. Neben den Darstellungen von Kain, der die Garbe festhält und der fragenden Hand in der Wolke darüber, ist es vor allem die Darstellung eines weiblichen, fischschwänzigen Fabelwesens.

Sirene, Nixe oder Nymphe?
An der Informationstafel vor der Kirche ist Folgendes zu lesen: „Ein Bildfragment zeigt den Oberkörper einer melancholisch blickenden Sirene. Ein derart maritimes Motiv mag in dieser Bergwelt überraschen, doch solche Mischwesen sind im Bilderkanon der Romanik üblich – sie symbolisieren Unheil und Chaos“.
Weibliche Fabelwesen, deren Körper halb Fisch und halb Mensch sind, gibt es seit Jahrhunderten, wenn nicht Jahrtausenden. Sirenen, Nixen, Nymphen, Najaden sind Begriffe, um diese mythologischen Gestalten zu bezeichnen. Sie werden aber oft auch verwechselt, da die Äußerlichkeiten ähnlich beschrieben werden. Das Bildfragment am Chorbogen, das den entblößten „Oberkörper einer melancholisch blickenden Sirene“ zeigen soll, ist wohl eher eine Nymphe und im Zusammenhang mit der Malser Haide zu deuten.
Nymphen und Sirenen haben gewisse gemeinsame Eigenschaften, sind aber unterschiedliche Wesen. In der griechischen Mythologie (Odyssee von Homer) erscheinen Sirenen als weibliche Meeres-Dämonen mit Frauenkopf und Vogelleib. Ihr verführerischer Gesang lockte die Schiffer heran, die mit ihren Booten die Küsten des südlichen Italien befuhren. Die vom Sirenengesang berauschten Seeleute vergessen dann ihr Schiff zu steuern, sodass es schließlich an der felsigen Küste zerschellt. Nymphen sind in der griechischen Mythologie ebenfalls mit dem Element Wasser eng verbunden. Es sind Naturgottheiten, die über Quellen, Bäche, Flüsse, Seen, Wälder und Berge wachen. Sie haben ambivalenten Charakter, können Unheil bringen, stehen aber auch für Fruchtbarkeit. Die im Wasser hausenden Nymphen sind schöne Jungfrauen mit entblößtem Oberkörper. Sie erscheinen unter anderem als Schutzgeister und beschützen das Wasser und seine Schätze. Sie schützen gegen Krankheiten und Sünden. Sie behüten die Seelen der aus dem Lebenswasser neugeborenen Kinder. Sie schützen auch die Kinder vor dem Ertrinken.

Von der Kirche könnte der Heilige Nikolaus, unter anderem auch Patron der Kinder und Armen, als Beschützer in Szene gebracht worden sein. Die Kirche hat Traditionen, die vor Ort waren, vielfach übernommen. Fast alle kirchlichen Feiertage sind vorchristlich auch schon gefeiert worden. Und bei vielen Heiligen ist es eben auch so, dass die ursprünglichen lokalen Gottheiten durch einen christlichen Heiligen ersetzt wurden.

Der Heilige Nikolaus
Nikolaus ist eine historische Figur. Nikolaus von Myra war ein Bischof, der um das Jahr 300 in Myra, in der heutigen Türkei lebte, und dort die Aufgabe hatte zu missionieren. Er war bereits im 4. Jahrhundert als Heiliger bekannt. Er ist ein Symbol für Nächstenliebe und Hilfsbereitschaft und wird in der Volksfrömmigkeit als Helfer in vielen Nöten angesehen. Die Verbreitung des Patroziniums in Europa begann im 11. Jahrhundert mit der Übertragung der Reliquien des Heiligen von Myra nach Bari. Im 12. und 13. Jahrhundert war der Heilige Nikolaus sozusagen ein „Modeheiliger“ und mehrere Kirchen, auch hierzulande, wurden dem Heiligen Nikolaus geweiht. Häufig sind es Orte, die von Lawinen, Wildbächen und Muren gefährdet waren. (St. Nikolaus in Rojen, in Hinterkirch und Planeil, St. Nikolaus in Mals, Laas und St. Nikolaus in Vetzan, St. Nikolaus in Latsch, ....) an denen früher eventuell auch schon heidnische Gottheiten verehrt wurden. So könnte es auch im Fall der St. Nikolauskirche bei Burgeis sein, wo die ursprünglich schützende Funktion wahrscheinlich eine Wassernymphe inne hatte. Das Brustbild des Heiligen Nikolaus, mit seiner segnenden Hand über der Eingangstür, entstand erst zu Beginn des 16. Jahrhunderts.

Wenn heute eine Kirche dem Heiligen Nikolaus geweiht ist, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass hier vorher andere heidnische Gottheiten verehrt wurden. Das rätselhafte Freskomotiv am Chorbogen in der St. Nikolaus Kirche bei Burgeis lässt jedenfalls Raum für Interpretationen. Das Spannende an der Geschichte ist die Auseinandersetzung mit der Thematik. Welches ist der Hintergrund der Fresken? Wie sind sie kulturgeschichtlich entstanden? Aus welchen Kulturkreisen hat man da geschöpft?

Altes Foto von St. Nikolaus bei Burgeis; Foto: Heinrich Moriggl

Altes Foto von St. Nikolaus bei Burgeis; Foto: Heinrich Moriggl

Brustbild des Heiligen Nikolaus in der Nische über der Eingangstür (Archiv Heinrich Moriggl)

Brustbild des Heiligen Nikolaus in der Nische über der Eingangstür (Archiv Heinrich Moriggl)

Innenraum der Kirche mit Apsis und Fresken am Chorbogen (Archiv Heinrich Moriggl);

Innenraum der Kirche mit Apsis und Fresken am Chorbogen (Archiv Heinrich Moriggl);

Kain mit der Garbe in der Hand und darüber die fragende Hand (Archiv Heinrich Moriggl)

Kain mit der Garbe in der Hand und darüber die fragende Hand (Archiv Heinrich Moriggl)

Moriggl unter der Darstellung des Narren im Waschzuber an der gotischen Flachdecke von 1523 und dem Spruch: „Item wen(n) Nar(r)en lang leben, so wer(d)en si(e) alt“.  (Foto Peter Tscholl);

Moriggl unter der Darstellung des Narren im Waschzuber an der gotischen Flachdecke von 1523 und dem Spruch: „Item wen(n) Nar(r)en lang leben, so wer(d)en si(e) alt“. (Foto Peter Tscholl);

Heinrich Moriggl begleitet als Kulturführer Interessierte in der St. Nikolauskirche (Foto Peter Tscholl);

Heinrich Moriggl begleitet als Kulturführer Interessierte in der St. Nikolauskirche (Foto Peter Tscholl);