Der Tartscher Bichl - Siedlungsgeschichte und Ökologie
St. Veit am Tartscher Bichl mit Ausblick auf die Tartscher Leiten im Herbstaspekt
Der Tartscher Bichl ist ein markanter Felsbuckel mitten im Obervinschgau, wo das Münstertal und das Matschertal als Seitentäler in das Haupttal einmünden. Der Felssporn aus Glimmerschiefer trägt die romanische Kirche zum St. Veit. Zur Kirchen-, Kultur- und Kunstgeschichte dieses Gotteshauses gibt es gewichtigere Experten. Ich möchte in meinem heutigen Beitrag auf die besiedlungsgeschichtliche und ökologische Bedeutung dieses Ortes eingehen.
Siedlungsgeschichte
Hügelkuppen wie der Tartscher Bichl sind nach der letzten Eiszeit als harte Gesteinskerne übriggeblieben aus der Hobelwirkung der Gletscher im Vinschgauer Haupttal am Zusammenfluss mit den Gletscherzungen aus den Seitentälern. Die letzte Auseisung nach vier Eiszeiten in den Alpen ist zeitlich zwischen 15.000 und 12.000 vor Christi Geburt anzusetzen. Solche erhobenen Stellen haben sich gegenüber dem sumpfigen, überschwemmungsgefährdeten und mückenverseuchten Umland als erstes Siedlungsgebiet für die frühen Siedler in den Alpentälern geradezu angeboten.
In seinem Vortrag zur frühen Siedlungsgeschichte im oberen und mittleren Vinschgau hat der Stubaier Ur- und Frühgeschichtler Paul Gleirscher beim wissenschaftlichen Symposium des Südtiroler Kulturinstitutes im Bildungshaus Schloss Goldrain vom 27.-30. Juni 1991 zum Beginn sesshafter Besiedlung unseres Tales unter anderem ausgeführt, dass für die mittelsteinzeitliche Jägerphase (ca. 8.000-4.500 v. Chr.) Spuren im Vinschgau noch sehr spärlich sind. Für die Jungsteinzeit (ab 4.500 v. Chr.) gibt Paul Gleirscher den Tartscher Bichl als den Ort mit den ältesten Siedlungsspuren an, wobei diese Spuren noch nicht auf Ackerbau und Viehzucht hinweisen. Paul Gleirscher zitiert zur Auswahl von Siedlungsplätzen auch den im heurigen Jahr verstorbenen Südtiroler Archäologen Reimo Lunz (1943-2025). Reimo Lunz meinte: „In der Vorzeit hingegen war die unmittelbare Nähe zu einem Wasserlauf nicht unbedingt ausschlaggebend für die Wahl des Siedlungsplatzes; hier waren meist die sichere, geschützte Lage, trockener Boden und Sonneneinstrahlung von besonderer Bedeutung.“ Dies hätte sich erst in der römischen Kaiserzeit gewandelt.
Unter den vinschgauer frühgeschichtlichen Siedlungen auf Kuppen bestanden nach Paul Gleirscher einige in ihrer Nutzungsdauer nur während der älteren Bronzezeit (ca. 2.200-1.300 v. Chr.), also zu jener Zeit, in der es wegen des ersten Booms im Kupfererzbau auch zu einem Bevölker-ungszuzug und damit zu einer Siedlungsverdichtung im Alpeninneren kam. An solchen älterbronzezeitlichen Siedlungen sind neben dem Tartscher Bichl für den oberen Vinschgau zu nennen: Kastellaz bei Burgeis auf beachtlichen 1.651 Metern Meereshöhe, weiters Caschlinboden bei Stilfs (1.431 m) und Ganglegg Schluderns. Für die Siedlungen am Tartscher Bichl und am Ganglegg gibt Paul Gleirscher eine durchgehende Nutzungsdauer von 2.200 bis knapp vor Christi Geburt an.
Trockenrasen sind ökologische Kleinode
Trockenrasen sind im Vinschgau als inneralpinem Trockental besonders am sonnexponierten Leitenhang an der orographisch linken Talseite ein noch relativ großflächiges Landschaftselement. Trockenrasen als Teil der Vinschgauer Steppenlandschaft haben sich auch auf dem Tartscher Bichl gebildet. Die Vinschgauer Leitensteppe ist durch Brandrodung des nacheiszeitlichen Waldes entstanden, als der Mensch in seiner noch nomadisierenden Hirtenphase ständig neues Weideland für seine Schafe und Ziegen als erste gezähmte Nutztiere brauchte. Die heute noch bestehenden Trockenrasen sind das Ergebnis Jahrtausende langer Beweidung und Überweidung und der anhaltenden Niederschlagsarmut. Die hohen Berge des Alpenhauptkammes schirmen als großer Regenschirm unser Tal von den Atlantiktiefs ab. Niederschlag gibt es im Vinschgau meist nur, wenn der Unterwind aus dem Golf von Genua regenschwangere Wolken heranfrachtet.
Die Trockenrasen erhalten sich als Pflanzengesellschaft bei extensiver Weidenutzung, ohne dass Dünge- und Spritzmittel zum Einsatz kommen. Als chemiefreie Standorte sind sie wertvolle ökologische Lebensräume und Rückzugsgebiete für faunistische Raritäten, besonders unter den Wirbellosen wie den Insekten. Der Tartscher Bichl wurde unter anderem deswegen als Teil der „Steppenvegetation Tartscher Leiten“ mit dem Beschluss der Südtiroler Landeregierung Nr. 1261 vom 29. August 2011 zum Biotop erklärt. Die gesetzliche Grundlage für diese Ausweisung bildete das Südtiroler Landschaftsschutzgesetz Nr. 16/1970. Der Tartscher Bichl ist auch als Besonderes Schutzgebiet BSG Natura 2000 IT 3110053 gemäß der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie der Europäischen Union ausgewiesen.
Schmetterlingsforschung
Der Tartscher Bichl ist schmetterlingskundlich gut untersucht. Im Auftrag des Heimatpflegevereines Mals unter seinem damaligen Vorsitzenden, dem leider allzu früh verstorbenen Roland Peer aus Burgeis, hat der Innsbrucker Schmetterlingsexperte Prof. Gerhard Tarmann in einer Projektstudie in den Jahren 2015-18 die Verbreitung des Felsenfalters oder der Berghexe (Chazara briseis) und der Widderchen (Zygenidae) im Gemeindegebiet von Mals untersucht. Der in Mitteleuropa vom Aussterben bedrohte Felsenfalter ist eine Charakterart und eine Ikone der Vinschgauer Steppenhänge. Nach Tarmann kommt die Art nur mehr an wenigen Stellen (z.B. Französische SW-Alpen, Vinschgau, Münstertal) vor. Tarmanns Untersuchung hat ergeben, dass der Felsenfalter im Gemeindegebiet von Mals zahlreiche starke Populationen aufweist. Auch am Tartscher Bichl, wo die gegen die Luftgifte als Areosole besonders empfindlichen Widderchen fehlen, ist der Felsenfalter nach Tarmann häufig und in einer stabilen Population vertreten. Die Raupen der Felsenfalter sind nachtaktiv und fressen, wenn die Luft nachts von den Bergen herunterfließt und keine gifthaltigen Aerosole aufsteigen. Der Felsenfalter braucht trockene, kurzrasige Felsensteppen als Lebensraum. Diese Anforderung ist am Tartscher Bichl gegeben. Damit diese kurzhalmigen Steppenrasen nicht verbuschen, ist die Fortsetzung der extensiven Beweidung am Tartscher Bichl ökologisch sinnvoll.
Ausblick vomTartscher Bichl auf das herbstliche Glurns und den Schuttkegel von St. Martin
Der Echte Wermut schützt sich durch Bitterstoffe vor dem Verbiss durch Wild- und Weidetiere
Die trockenresistente Königskerze besiedelt mit mehreren Arten die Trockenrasen. Li. die Schwarze Königskerze, re. die Großblütige Königskerze
Trockenrasen am Tartscher Bichl mit Ausblick auf Mals, das Kloster Marienberg und die Fürstenburg bei Burgeis
- Ausblick vomTartscher Bichl auf das herbstliche Glurns und den Schuttkegel von St. Martin
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- Trockenrasen am Tartscher Bichl mit Ausblick auf Mals, das Kloster Marienberg und die Fürstenburg bei Burgeis