Wolfgang Platter, zum Kirchtag in Laas, St. Johannes der Täufer, 24. Juni 2025
„Und wieder blühet die Linde am quellumrauschten Gestein“
ist ein bekanntes deutsches Volkslied.
Einer der zwei platzprägenden und schattenspendenden Bäume am Laaser Dorfplatz ist eine Linde. Sie wurde zum 60. Thronjubiläum von Kaiser Franz Josef im Jahr 1908 gepflanzt.
Botanische Systematik
Die Familie der Lindengewächse (Tiliceae) umfasst weltweit 400 Arten in 45 Gattungen. Die Mehrzahl der Arten sind Tropengewächse. Fünfzig verschiedene Lindenarten wachsen in den gemäßigten Zonen der Nordhalbkugel. In der heimischen Waldbaum-Flora gibt es die Sommerlinde (Tilia platyphyllos) und die Winterlinde (Tilia cordata). Beide Arten gleichen sich stark. Beide sind als Wald- oder Alleebaum oder auch freistehend geschätzt. Sie gleichen sich so sehr, dass selbst Kenner sie nicht immer unterscheiden können. Am besten eignet sich das Blatt zur Unterscheidung: Die Blätter der Sommerlinde sind beidseitig behaart, während die Blätter der Winterlinde auf der Oberseite und am Blattstiel keine Härchen haben, unterseits in den Blattachseln aber kleine braune Haarbüschel tragen. Linden können sehr alt werden. Ihre Lebensdauer kann 1.000 Jahre erreichen. Junge Linden sind im Wald von Wildverbiss betroffen. Linden sind sehr sturmresistent und auch resistent gegen Trockenheit. Die Sommerlinde kann ihre Blätter verlieren und wieder neu ausschlagen, wenn sie erneut Wasser bekommt. Die Winterlinde erträgt bei Überschwemmungen in Auwäldern zwei Monate im Wasser. Linden haben keine gefährlichen Parasiten, häufig Milbengallen als spitze rote Pünktchen auf den Blättern.
Zähe Rinde
Der lateinische Name der Linde „tilia“ leitet sich vom griechischen „tilos“ ab, der Bezeichnung für die innere Rinde. Diese hatte dem Menschen jahrelang zur Herstellung von Bast gedient, aus dem verschiedene Gegenstände geflochten wurden: Seile, Körbe, Matten, Kleider und Schuhe. Als Rohstoff für neolithische Körbe oder für Lapti (russische Sandalen aus Rinde) gehörte die Linde seit jeher zum Alltag der Menschen. Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts wurden jährlich noch Tonnen von Lindenbast gewonnen. Diese Bastfasern bestehen aus toten Zellen, die 2-4 Millimeter lang sind, was für eine Zelle bereits sehr viel ist. Andere Pflanzen gehen noch weiter: 5 bis 50 mm beim Hanf, 4-66 mm beim Leinen und sogar 25 Zentimeter bei der Ramiepflanze, einer Brennessel-Art.
Zartes Holz
Das weiche, homogene Holz der Linde lässt sich gut bearbeiten und ist deshalb das perfekte Holz für Schnitzer und Bildhauer. In Kirchen ist Lindenholz allgegenwärtig: Heiligenstatuen, Krippenfiguren, Altäre sind sehr oft aus Lindenholz geschnitzt.
In Dänemark hat man in einer Erdschicht aus dem Mesolithikum einen 9,5 m langen und 65 cm breiten Einbaum gefunden, der aus der Zeit um 3.300 v. Chr. stammt und ganz aus Lindenholz besteht. Holzkohle aus Lindenholz war Bestandteil des Kanonenpulvers, wurde aber auch zur Zahnpflege eingesetzt. Noch heute ist die Holzkohle aus Lindenholz ein begehrtes Material zum Zeichnen.
Der Baum der Bienen und Blattläuse
In den Blüten der Linden versteckt sich ein reichhaltiger Nektar. Die Bienen sammeln nicht nur den Nektar aus dem Blüteninneren, sondern sie sammeln auch den Honigtau auf den Blättern. Dieser entsteht, wenn Blattläuse den Saft aus den Blättern sammeln und später wieder ausscheiden. Die Bienen sind gierig nach diesem süßen Abfallprodukt der Blattlaus. Lindenhonig besteht demnach nicht nur aus Nektar, sondern auch aus Honigtau. Honig ist bestimmt eines der ältesten, vom Menschen gesammelten Naturprodukte. Bevor die Bienen gezähmt und in Bienenstöcken gehalten wurden, war ihr süßes Produkt nur für denjenigen zu finden, der die Natur genügend gut kannte. Im Mittelalter bohrten Honigsammler große Löcher in die dicksten Lindenäste, damit sich ein Bienenschwarm dort einnisten konnte. In Wäldern mit vielen Linden, Weißtannen und Weiden markierte man Bäume, in denen sich Schwärme eingenistet hatten. Der Besitzer der Bäume, oftmals ein Lehensherr, stellte Honig-Wächter auf, um sein Recht über das süße Produkt zu verteidigen. Der orangengelbe, flüssige und gut riechende Lindenhonig besitzt dieselben beruhigenden Eigenschaften wie der Lindenblütentee. Die Substanz, die den besonderen Duft der Lindenblüten verursacht, ist das Famesol. Es wurde erstmals 1923 von Leopold Ruzicka in Zürich erforscht, der 1939 den Nobelpreis für Chemie erhielt.
Symbolik
Die Meswaki-Indianer nennen die Linde Schnurbaum, da ihre Fasern bei der Jagd oder beim Fallenstellen als Schnüre dienten. Sie machten daraus unter anderem sehr reißfeste Netze. Die Schnur- und Bänder-spendende Linde gilt dann auch als Baum der Ehe und der Hochzeit. In den deutschsprachigen Ländern und im Osten Frankreichs steht oft eine Linde auf dem Dorfplatz, vor der Kirche oder am Eingang des Friedhofs. Die Linde auf dem Laaser Dorfplatz ist eine Sommerlinde. Man traf sich unter der Linde, um sich zu beraten und um über die Angelegenheiten von Kirche und Gemeinde zu diskutieren. Im Mittelalter saß man im Schatten von Linden auch zu Gericht.
Die Blätter der Linde sind herzförmig. Wegen der Ähnlichkeit des Lindenblattes mit dem menschlichen Herzen ist die Linde auch das Symbol für Liebe und Treue. Unter Linden wurde häufig getanzt. Franz Schubert vertonte das Gedicht „Der Lindenbaum“ aus dem Gedichtszyklus „Winterzeit“ (1794-1807) von Wilhelm Müller, in dem dieser die Linde als Freundin und Zeugin seiner Liebe und seines Leidens beschreibt:
Am Brunnen vor dem Tore
Da steht ein Lindenbaum:
Ich träumt in seinem Schatten
So manchen süßen Traum.
Ich schnitt in seine Rinde
So manches schöne Wort;
Es zog in Freud und Leide
Zu ihm mich immerfort. (…)