Matsch - Oder ein Stück vom Glück

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Klein und Fein. Zum Genießen und Verweilen. Bergsteigerdorf. Schöne Schlagworte. Ob diese Kriterien auf das kleine Dorf Matsch zutreffen? Auf das erste Bergsteigerdorf Südtirols?

von Karin Thöni

 

Sicherlich. Ein wenig Eigeninitiative und Interesse von Seiten des Besuchers vorausgesetzt. In Matsch wird nichts für den Gast präsentiert, nichts hergerichtet, nichts gespielt. Doch jeder kann mitmachen: am Dorfgeschehen, an den Bräuchen des Jahres, am Schmäh der Einheimischen. Drauf einlassen muss man sich halt.
Und rundherum lockt eine grandiose Natur. Unverfälscht. Prächtig. Gelassen. Überhaupt prägt Gelassenheit das lange Seitental im Oberen Vinschgau. Die Menschen und die Landschaft. Wenig Veränderung, (noch) wenig Eingriffe. Und doch wird nicht konserviert. Die Matscher lieben ihr Tal und ihr Dorf. Die Bevölkerungszahlen halten sich stabil. Die jungen Matscher bauen und bleiben, übernehmen Stall und Wiesen der Eltern.
Was den Gast, den Wanderer, den Bergsteiger erwartet? Alpine Hochtouren, mächtige Gletscher, feine Gipfel, einen Waalweg der Extraklasse, stille Höfewanderungen und ein kleines, verschachteltes, rätoromanisch geprägtes Dorf, steil am Sonnenhang des Tales klebend. Nichts ist nur Kulisse für den Besucher, alles auch für die Matscher selber. „Authentizität“ würden Touristiker das wohl nennen. In Matsch interessiert das reichlich wenig.
s68 8087Matsch gefällt, wem die Vielfältigkeit der Natur gefällt: Trockenrasen mit Pflanzen aus dem zentralasiatischem und mediterranem Raum neben Feuchtwiesen mit enormer Artenvielfalt. Obst und Beeren gedeihen am Talanfang, Gletscher bedecken das raue Talende. Viel findet man hier auf kleinem Raum. Flora und Fauna. Seltene Blumen und Schmetterlinge, Gemsen in Mengen, kreisende Bartgeier. Und einen alten Waal. Früher zum Bewässern der Felder gebaut, heute ein gemütlicher Flanierweg durch das Tal. Beruhigendes Glucksen und Plätschern des „Wasserwossers“ inklusive.
Auch Geschichte bietet das Tal. Die Matscher Raubritter regierten und hausten über Jahrhunderte auf dem Hügel am unteren Ende des Tales, der tosende Saldurbach umspült ihn filmreif. Noch heute finden sich dort die Reste der Trutzburgen und eine verrückt schöne Aussicht auf König Ortler. Am „Gschlossbiechl“ kann man noch immer Geschichte spüren, oder am „Golgabiechl“ (Galgenhügel), dem früheren Hinrichtungsplatz, malerisch gruslig gelegen am Ortseingang. Sie waren wahrliche Raubritter und legten sich auch ohne Scheu mit den kirchlichen Würdenträger der Umgebung an, einen Abt des Klosters Marienberg sollen die Matscher Vögte geköpft haben.
Stolz erklären die Matscher, es hätte in ihrem Tal schon lange eine Kultur gegeben, als das Haupttal unten noch im Sumpf versank. Und wirklich: die Geschichte des Tales und des Adelsgeschlechts geht lange zurück und ja, auch ein Heiliger soll an einem der Höfe des Tales aufgewachsen sein. Jährlich wird an „Florini“ deshalb Kirchtag gefeiert, mit feierlicher Messe, Kraut, Wurst und Krapfen und einem anständigen Fest bis in den Morgen.
Matsch ist ein Bergbauerndorf und kämpft mit den gleichen Problemen, wie alle Bergbauern in den Alpen. Doch in den Köpfen tut sich etwas: Biolandwirtschaft, Mutterkuhhaltung, Gemüseanbau, Selbstvermarktung, ja sogar Fischzucht. Die Matscher wollen unabhängig bleiben.
Die Vereine prägen das Dorfleben, man hilft sich untereinander. Der kleine Skilift funktioniert mehr oder weniger ehrenamtlich. Jedes Jahr in den Weihnachtsferien bringen die Jungen des Dorfes den noch Jüngeren das Ski fahren bei: Skikurs gegen eine Marende, seit unzähligen Jahren.
Die südlichen Ötztaler Alpen bieten ambitionierten Bergsteigern vieles: ein gutes Wegenetz auf dreiundzwanzig stille 3000er, die Weißkugel (3.739 m), von vielen zur heimliche Königin der Ötztaler Alpen gekrönt, die Saldurseen mit dem tibetanisch anmutendem Flair des Seenplateaus, den höchsten Bergsee Südtirols, den Matscherjochsee (3.188 m), das Upi- und Remstal, Übergänge in die Nachbartäler, die AVS- Schutzhütte Oberettes auf 2670m, Almen zum Einkehren und Übernachten und Kosten.
Im Herbst findet im Bergsteigerdorf das „kleinDORFgeflüster“ statt. Ein Fest, kleinlich regional bis zum Schluss, hat begeistert. Ein Stadel nach dem anderen reihte sich durchs Oberdorf: Matscher Produkte, Matscher Gerichte, Matscher Musikanten, Matscher Vereine. Ein Stadel gehörte den Kindern: zum Klettern s68 exportund Heu hüpfen, toben und spielen. Ein Fest für alle Sinne, gemacht von allen für alle. Und ein Beispiel wie es anders geht: ohne Giggr und Schweinswurst, Plastikzelt, Musikboxen und Hüpfburg. Dafür Märchen und Geschichten, Waalwanderungen und Filzen, Tanz und Hetz.
Und wie sagte ein Matscher, als er von einem Filmteam zum Thema Bergsteigerdorf befragt wurde: „Af Matsch weard man jo als Bergsteigr geborn. Es isch jo niana ebn. Ma geaht aui, geaht oi- sisch konnma si jo nit bewegn do. Und nor hot ma jo vielleicht a a Sealnvrwondtschoft mit die Menschn, dia kemmen.“
Er spricht den Matschern aus den Herzen. Bergsteiger unter Bergmenschen mitten in den Bergen. Wahrhaft ein Stück vom Glück. 

 

Seit 2017 ist Matsch das erste Bergsteigerdorf Südtirols. Bergsteigerdörfer sind eine Initiative aller Alpenvereine, auch des AVS. Es gibt sie in Österreich, Deutschland, Italien, Slowenien und bald auch in der Schweiz. Folgende Punkt sind für die Aufnahme neuer Gemeinden wichtig: Tourismusphilosophie, Ortsbild und alpines Flair, Berglandwirtschaft, Natur- und Landschaftsschutz, umweltfreundliche Mobilität und Kommunikation. Mittlerweile ist die Initiative ein alpenweites Netzwerk, das sich als Gegenbewegung zum Massentourismus versteht. Außerdem ist die Initiative eine Bewusstseinsschärfung für die Schönheit und Eigenheit des eigenes Tales. Liungariü im Gadertal ist in Südtirol das zweite Bergsteigerdorf. Werden die strengen Kriterien verletzt, können Bergsteigerdörfer auch wieder von der Initiative ausgeschlossen werden.
Mehr unter:
www.bergsteigerdoerfer.org/Matsch

 

Niente giocato
A Matsch, il primo villaggio alpinistico dell‘Alto Adige, non si presenta nulla per l‘ospite, non si prepara nulla, non si gioca nulla. Ma tutti possono partecipare: alla vita del villaggio, alle usanze dell‘anno, al fascino locale. Devi solo essere coinvolto.
E tutto intorno, una natura magnifica chiama. Incolume. Magnifico. Sereno. La serenità caratterizza la lunga valle laterale in Alta Val Venosta.

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