Latscher Nibelungenlied - Besuch am Fundort

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Leo Andergassen führt in die Geschichte der Burgruine ein. Im Hintergrund der Palas. Der Palas war das Wohngebäude mittelalterlicher Burgen. rechts: Am Fundort des „Latscher Nibelungenliedes“, Obermontani bei Morter am Eingang ins Martelltal Leo Andergassen führt in die Geschichte der Burgruine ein. Im Hintergrund der Palas. Der Palas war das Wohngebäude mittelalterlicher Burgen. rechts: Am Fundort des „Latscher Nibelungenliedes“, Obermontani bei Morter am Eingang ins Martelltal

Die Burgruine Obermontani bei Morter am Eingang ins Martelltal wurde für einen Tag aus ihrem "Dornröschenschlaf" wachgeküsst.

von Peter Tscholl

Die Akademie Meran, die Gemeinde Latsch und die Bildungsausschüsse Latsch und Goldrain/Morter öffneten am 1. Mai das Tor zur Anlage und Dr. Leo Andergassen führte die zahlreich erschienenen Besucher:innen zum Fundort des "Latscher Nibelungenliedes". Das Interesse war sehr groß. Es wurden vier Führungen angeboten, nur so konnte der starke Andrang bewältigt werden. 160 Besucher:innen nahmen insgesamt an den Führungen teil.
Was das Nibelungenlied und mit ihr die Burg Obermontani zur Zeit so attraktiv macht, hängt mit der Ausstellung "IMAGINE WORLDS damals, später, heute" zusammen. Im Kunsthaus Meran war die Latscher Nibelungenhandschrift I, Signatur mgf 474, bis zum 19. Mai ausgestellt. Die Handschrift war schon 1995 im Rahmen der Ausstellung Meinhard II. auf Schloss Tirol zu sehen. Damals wurde jedoch kaum Notiz von ihr genommen. Das Kunsthaus Meran hat es jetzt zustande gebracht, dass das Interesse an dieser Handschrift und an deren Auffindungsort neu entfacht wurde.

Die Geschichte von Montani

Dr. Leo Andergassen gab bei seiner Führung zunächst einen Überblick über die Geschichte der Burg Obermontani. Als Erstnennung datiert das Jahr 1228. Die Bischöfe von Chur übergaben am Martinstag 1228 die Burg "Montania" den Grafen von Tirol. Bei den Grafen von Tirol verblieb die Burg bis 1363. Mit dem Übergang Tirols an die Habsburger übernahmen diese die Herrschaft des Landes. Montani wurde einem gewissen Matthäus verliehen und es entwickelte sich ein eigenes Geschlecht, die Herren von Montani. Die Herren von Montani bestimmten die Geschicke der Anlage über 250 Jahre lang. Mit Balthasar von Montani erlosch das Geschlecht und die Grafen von Mohr kauften die Burg. Maximilian von Mohr, der 1647 die Burg übernahm, erwarb aus dem Erbteil seiner Mutter Susanne Freiin von Annenberg eine überaus umfangreiche Bibliothek. Darunter befand sich auch die Nibelungenhandschrift. Als mit dem Tod von Josef Alois Anton Carl Graf Mohr im Jahr 1833 auch die Linie der Grafen von Mohr erlischt, verkommen Burg und Bibliothek.

Der Geist von Montani

Die Spannung war groß, als Leo Andergassen die vielen Besucher:innen in das Innere der Burganlage führte. Man wurde positiv überrascht, erstens von der Größe und dem noch relativ gut erhaltenen Zustand der Anlage und zweitens von den vielen Details. So zum Beispiel von dem runden Wappenstein des Viktor von Montani und der Margaretha von Schrofenstein über der spätgotischen Loggia im Innenhof. Nach 1520 wurden die Burgen des Adels zu Wohnschlössern umgebaut und häufig wurden an diesen Umbauten Reliefs mit den Wappen der Bauherrn angebracht. Der Bildhauer des Wappensteins über der spätgotischen Loggia war wahrscheinlich Wolfgang Taschner, ein spätgotischer Baumeister, der in der Gegend des mittleren Vinschgau aktiv war. Es ist schon beachtlich, was auf Montani geschaffen worden ist. Man spürt heute noch den Geist des Kreativen, den Geist des Schaffens, des Wohnraumschaffens. Die Burg muss stark bewohnt gewesen sein. Jede Generation hatte ihren Winkel für sich geschaffen, was an den verschiedenen Wohnebenen, den Räumen zur Aufbewahrung von Speisen und Getränken und den zwei Backöfen deutlich wird. Man kann sich gut vorstellen, wie Menschen hier gelebt und wie sie hier gewohnt haben. Was auf Obermontani vermittelt wird, ist ein Stück Wohnkultur. Man spürt noch den Geist des Lebens, den Geist von Montani. Die Burgruine Obermontani ist von Bedeutung, weil sie eine Brücke zur Geschichte darstellt, eine Brücke zu dem, was sonst nur theoretisch vermittelt wird.
Es war spannend und interessant die Burgruine Obermontani zu besichtigen, die so reich an Geschichte und Kultur ist. Besonders erfreulich war es, dass so viele Menschen Interesse gezeigt und an der Führung teilgenommen haben.

Das Nibelungenlied

s24 Das Nibelungenlied1834 kam der Benediktiner P. Beda Weber auf Burg Obermontani und fand "unter zerstörten Fetzen von Büchern" die um 1320 entstandene, noch fast vollständig erhaltene Nibelungenhandschrift. Er erkannte sofort ihren Wert und erwarb sie zusammen mit anderen Schriften für 10 Gulden. Er verkaufte die Handschrift dann um das 20fache weiter und schließlich gelangte sie nach einigen Umwegen an die Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz nach Berlin. Gottseidank muss man heute sagen, denn wäre sie auf Montani geblieben, wäre sie wahrscheinlich verloren gegangen.

Über viele Jahrhunderte hinweg wurde das Nibelungenlied mündlich überliefert. Aus früheren Zeiten ist nichts schriftlich überliefert. Erst ab etwa 1200 wurde es dann mehrfach aufgeschrieben. Inhaltlich kommen zum Teil Geschichten aus der altnordischen Überlieferung "Edda" vor, die von skandinavischen Götter- und Heldensagen erzählt.
Das Nibelungenlied wurde vergessen und wiederentdeckt. Die Wiederentdeckung fällt etwa in die Zeit der deutschen Romantik. Es tauchte bald das Schlagwort der deutschen Ilias auf. Da die deutsche Nation auf der Suche nach Selbstfindung war, stürzte man sich auf das Nibelungenlied. Man glaubte, mit ihm einen identitätsstiftenden Text für sich gefunden zu haben. Das Nibelungenlied wurde so etwas wie der Gründungsmythos der Nation Deutschland, der germanische Urmythos. Leider wurde es dann von den Nationalsozialisten Deutschlands mißbraucht. Inzwischen sind die drei vollständigen Nibelungenlied- Handschriften des 13. Jahrhunderts zum Weltkulturerbe ernannt worden.
Burgkapelle St. Stephan

Im Anschluß an die Führung von Leo Andergassen konnte man noch die Burgkapelle St. Stephan besichtigen. Auch sie erinnert, wie die nahegelegene Burg, an die Bischöfe von Chur. Auch in Chur gab es eine alte Stephanus Kirche und so übertrug man das Stephanus Patrozinium wahrscheinlich auch auf die churische Kapelle auf Montani. Die Burgkapelle St. Stephan mit ihren einzigartigen Wandmalereien wird auch als die "Sixtinische Kapelle des Vinschgau" bezeichnet. Aber die Wandmalereien alleine machen nicht das Besondere der Kapelle aus. Auffallend sind die vielen Kritzeleien in den Wandmalereien. Die älteste Datierung geht auf das Jahr 1458 zurück. Neben den Signaturen von Burginhabern finden sich auch Inschriften prominenter Adeliger, von Richtern, Geschichtsschreibern, Geistlichen und Lehrpersonen. Es gibt in Südtirol kaum einen sakralen Raum, der derart viele solcher historischer Graffitis aufweist, wie die Burgkapelle auf Montani. Man könnte sich tagelang darin aufhalten und sich damit beschäftigen. Die Burgkapelle ist zugänglich Freitag und Samstag von 14:30 bis 17:30 Uhr.

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