Dienstag, 14 April 2015 00:00

„Dreimol hon i di nuie Schua ounlegn terft…“

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s17 5869Als Kind konnte sich Luzia nicht vorstellen, dass es irgendwann Schuhe für alle in Hülle und Fülle geben könnte. Tagtäglich musste sie in ausgetretene Latschen oder in geflickte Holzsandalen schlüpfen. Sie hatte damals nur einen Gedanken: „Wenn i amol selbr a Gelt honn, kaf i miar zu ollererscht a poor Schua.“

von Magdalena Dietl Sapelza

In der Kriegszeit schlich sich  Luzia als 11-Jährige eines Sonntags durch die offene Tür in das Haus am „Schloss Winkl“, in dem Frauen werktags Schießpulver-Säckchen für die deutschen Besatzer in „Bad Schgums“ füllten.

Plötzlich stand sie vor einem riesigen Haufen Lederschuhe. Sie konnte nicht wiederstehen, ein Paar mit nach Hause zu nehmen. Ihre Großmutter schimpfte und befahl ihr, die Schuhe sofort wieder zurückzubringen. Doch Luzia wollte das Paar nicht mehr hergeben. „I honn di Schuah mit dr Wiesahau in Ocker ingroobm“, erklärt sie. Von den Schuhen erfuhren auch andere Bewohner und bedienten sich. Sofort folgten Hausdurchsuchungen und satte Strafen. Luzia blieb unbehelligt. Ihre Schuhe holte sie erst nach dem Krieg aus dem Acker zurück. „Dia hon i norr a Weil ounkopp, mit zwoa Poor Sockn“, erklärt sie. Jahre später fertigte ihr ein Schuster aus Sulden erstmals Schuhe auf Maß an. Er brachte ihr das heiß ersehnte Paar im Frühjahr. Als Lohn wollte er im Herbst Kartoffel holen. „Dreimol hon i di nuie Schua ounlegn terft, zu Heili Bluatstog, zu Hoch unser Frau unt pan Ronenkirchta“, erzählt sie. Dann nahm  ihr der Schuster die Schuhe wieder weg, nachdem der Tausch mit den Kartoffeln geplatzt war. „Si sain nit oans gwortn“, erklärt Luzia. Gebrauchte Schuhe erhielt sie darufhin von einer Bekannten. Dafür musste sie dieser das Lieblingskitz geben, das sie mit der Flasche aufgepäppelt hatte.  
Luzia wuchs als älteste von 13 Kindern in bescheidenen Verhältnissen in Tschengls auf. Sie schlief mit ihrer Schwester in einer zugigen Kammer. Es regnete durchs Dach. „In Wintr isch sogor di Kochl gfrorn“, sagt sie. Schließlich durfte sie zu ihren Großeltern ziehen. Sie half aber täglich auf dem elterlichen Bauernhof mit. Lebendig in Erinnerung ist ihr der Unterricht durch eine nationalsozialistische Lehrerin, die das Kreuz durch das Hitler-Bild ersetzte. Die Kinder mussten für den Führer beten. „Schütz Adolf Hitler jeden Tag, dass ihn kein Unglück treffen mag“, so die Schlussworte. Im Februar 1945 fand Luzia einen Flugzettel der Amerikaner mit den Sätzen: „Im März bombardieren wir. Im April marschieren wir. Im Mai regieren wir.“ Alle spürten, dass das „Dritte Reich“ am Ende war.  Gleichzeitig fürchteten sie die Bomben. „Miar hoobm hort gwortet, dass entla dr Mai kimmt“, sagt sie. Bomben fielen keine und das Leben begann sich langsam zu normalisieren.
Als 20-Jährige erhielt Luzia eine Stelle in der „Goldenen Rose“ in Meran. In den Schaufenstern hielt sie sofort Ausschau nach passenden Halbschuhen und wurde fündig. Nachdem sie ihren ersten Lohn von 9.000 Lire in den Händen hielt, lief sie ins Geschäft und kaufte sich das Paar für 6.000 Lire. „Tuir sein si schun gwesn, obr a Freid hon i kopp“, betont sie. In ihren neuen Schuhen traf sie daheim den um zehn Jahre älteren Sepp Andres. Er war eben aus der dreijährigen Amerikanischen Gefangenschaft entlassen worden. Beide verliebten sich. Doch Luzias Eltern waren gegen die Verbindung. „I woas nit brum, wohrscheinla hot er zuweanig kopp“, meint sie. Der Pfarrer wurde beauftragt, die beiden zu trennen. Immer wieder redete er auf sie ein. Schließlich griff das junge Paar zur List. Als der Pfarrer in die Stube trat, knieten sie von ihm nieder und baten um den Segen. Überrascht konnte der Geistliche ihnen diesen nicht verwehren. Zu den Eltern sagte er dann: „Dia muaß ma lei gean lossn, dia Liab konn ma nit asanoderreißn.“ Im Oktober 1951 heirateten Luzia und Sepp. Glücklich zogen sie in eine Mietwohnung. Später kauften sie sich ein Höfl. Sepp arbeitete als Holzarbeiter. Luzia versorgte die kleine Landwirtschaft und die fünf Kinder. Jeden Knopf legte das Paar auf die hohe Kante. Es reichte schließlich für den Kauf eines angrenzenden Häuschens. Dieses ist heute Luzias Alterswohnsitz.
Die schwerste Zeit ihres Lebens brach an, als ihr geliebter Mann im Mai 1985 im Alter von 64 Jahren an Magenkrebs erkrankte. Er starb nach einem Monat. „In Monn z` verliearn isch schwar gweesn“, bekennt sie.  Halt gaben ihr die Kinder.
Heute lebt Luzia allein, versorgt sich selbst, ist zufrieden und freut sich über die regelmäßigen Besuche ihres Anhangs. Sie geht gerne spazieren, besucht die Kirche…
Jedes Mal wenn sie vor der Wahl steht, welche Schuhe sie anziehen könnte, denkt sie an die karge Zeit zurück, in der sie von passenden Schuhen nur träumen konnte.

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