Spezial-Landwirtschaft: „Wir wollen und müssen First Class Partner sein“

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ViP-Direktor Martin Pinzger spricht im Vinschgerwind-Interview über Auszahlungspreise, über Reorganisation, über Fusionspläne und einen schwierigen Saisonsstart - und macht Mut.

Vinschgerwind: Herr Direktor: Es herrscht Katerstimmung unter den Bauern, 43,5 Cent Auszahlungspreis für einen Bio-Golden, 36,5 Cent für einen Golden aus integrierter Produktion, sprich konventionellen Golden.
Martin Pinzger: Die Katerstimmung kann ich bestätigen und sie ist auf die letzten drei Jahre zurückzuführen, in denen, wie wir wissen, auf der Welt sehr vieles passiert ist, das Auswirkungen auf die Wirtschaft und somit auch auf die Landwirtschaft hatte und hat. Die Ernte 2020 war mengenmäßig und qualitativ eine schwache Ernte, dementsprechend waren die Erlöse für die Produzenten trotz ansprechender Marktpreise mäßig. 2021 hatten wir eine gute Menge, aber die Preise waren nicht überall zufriedenstellend. Und jetzt haben wir 2022 wieder eine enttäuschende Erntemenge. Das heißt, der landwirtschaftliche Unternehmer hat jetzt das 3. Jahr in Folge ein durchwachsenes Ergebnis und eine schwierige Perspektive für die kommenden 12 Monate. Deswegen sage ich, ja, die Bauern haben bestimmte Sorgen und berechtigte Sorgen - im Vinschgau, in Südtirol, im Apfelsektor aber auch anderswo für andere landwirtschaftliche Erzeugnisse. Wir hatten schon länger kein „normales“ Jahr mehr.

Vinschgerwind: Das war...
Martin Pinzger: Das war 2017. Da hat es wirklich Spitzenpreise gegeben bei einer mäßigen Menge, aber auf dem Markt haben die Äpfel gefehlt. Das Ergebnis 2021 ist nicht schlecht aber stimmt unter den aktuellen Rahmenbedingungen nicht optimistisch.

Vinschgerwind: Das heißt die Bauern müssen mit noch schlechteren Auszahlungspreisen für die Ernte 2022 rechnen?
Martin Pinzger: Wir beobachten heuer einen sehr schwierigen Saisonsstart. Die Kosten für die Bauern und die Genossenschaften für Strom, Pflanzenschutz, Kunstdünger ziehen an– auf allen Kostenebenen gibt es große Steigerungen. Und wenn wir mit unseren Kunden reden, dann ist durchgängig das Feedback das: „Wir müssen billiger einkaufen, weil auch unsere Kosten gestiegen sind.“ Zudem versucht der Lebensmitteleinzelhandel die Preissteigerung für den Endverbraucher in Grenzen zu halten, um den Konsum aufrecht zu erhalten. Denn das Schlimmste wäre, wenn der Konsum wegbricht. Das betrifft die ganze Wirtschaft. Trotzdem darf ich auch Chancen in dieser Situation für uns aufzeigen. Die Qualität des Vinschger Apfels ist bekannt, und gerade heuer sieht es so aus, dass wir damit am Markt umso mehr trumpfen können. Durch den heißen Sommer haben heuer viele Anbaugebiete sehr stark gelitten, was dazu führt, dass grade jetzt zu Saisonsbeginn viele Äpfel schnell verkauft werden müssen, weil sie nicht für die Lagerung geeignet sind. Durch unsere Höhenlagen zwischen 500 und 1.100 Höhenmeter, eine gute Fruchqualität und eine überschaubare Menge müssen wir nicht mit Billigäpfeln konkurrieren.

Vinschgerwind: Vor allem von Polen?
Martin Pinzger: Die Polen verkaufen ihre Äpfel derzeit mit extrem niedrigen Preisen, weil aus den erklärten Gründen eine Einlagerung sehr fragwürdig ist.
Vinschgerwind: Das heißt die Lagerung der Äpfel ist die große Stärke des Vinschgaus.
Martin Pinzger: Einmal die Lagerung, aber wir sind auch das höchstgelegenste Anbaugebiet Europas und haben wie gesagt klimatische Vorteile. Das wird uns helfen. Wir erwarten mit Sicherheit im Laufe der Verkaufssaison bessere Preise. Denn wir bedienen unsere Kunden zwölf Monate lang. Wir sitzen geografisch mitten in Europa und haben 500 Millionen Menschen als potenzielle Konsumenten. Der Apfel ist in vielen Ländern nach wie vor Obstsorte Nummer 1.

Vinschgerwind: Sind Österreich und die Schweiz immer noch weiße Flecken?
Martin Pinzger: Wir haben heuer viele Bioäpfel in die Schweiz geliefert. Ist die Schweizer Produktion geräumt, beschafft man sich geografisch konform die fehlende Ware gleich hinter der Grenze, also im Vinschgau und am Bodensee. Deshalb sind wir diesbezüglich ab und zu gut positioniert. Aber zurück zu unseren Bauern: Der Apfelanbau ist ihre Lebensgrundlage und niemand hat etwas davon, wenn die Bauern das Handtuch werfen. Wir hatten 1.700 Mitglieder und heute reden wir noch von 1.600 Mitgliedern, Tendenz weiterhin leicht rückläufig. Wir haben professionelle Bauern, zeitgerechte Strukturen und wir haben ein gutes Sortiment mit einem gesunden Anteil an Golden, 15 Prozent Bioanteil und einen ähnlichen Anteil an neuen Vertragssorten und haben mit Europa einen großen Markt vor der Haustür.

Vinschgerwind: Das Ansehen des Bauern ist natürlich in der Gesellschaft angegriffen. Durch Pestizide, durch die steuerlichen Vorteile....
Martin Pinzger: Wir sind 30.000 Menschen im Vinschgau. Die Landwirte sind ein Teil davon, leisten ihren Beitrag zur lokalen Wirtschaft und zum Vereinsleben in den Dörfern. Unsere Betriebe sind alles sehr kleinstrukturierte Familienbetriebe. Das ist im weltweiten Kontext Kitsch pur. Seien wir stolz darauf und übersehen wir nicht diesen wichtigen volkswirtschaftlichen Faktor. Dies gilt übrigens auch für die anderen Wirtschaftszweige im Tal.

Vinschgerwind: Jetzt sind wir abgeschweift. Kommen wir zurück zu den Auszahlungspreisen. Bei den roten Sorten?
Martin Pinzger: Im Biobereich sehr zufriedenstellend, außer bei den Sorten Golden und Stark. Das ist aber keine Überraschung für unsere Biobauern, das wissen diese und sie sollten, wenn möglich auf Gala, Bonita, Pinova und andere Sorten zurückgreifen. Grundsätzlich hat der Biobauer gute Preise bekommen und auch die Clubsorten im konventionellen Bereich.

Vinschgerwind: Konkret?
Martin Pinzger: In Cent?
Vinschgerwind: Genau.
Martin Pinzger: Für die Clubsorten haben wir Auszahlungspreise zwischen 60 und 70 Cent.

Vinschgerwind: Und für die roten Sorten im Bio-Bereich, außer der Sorte Stark?
Martin Pinzger: Da liegen wir zwischen 75 – 85 Cent.
Vinschgerwind: Sind die schlechten Auszahlungspreise der Grund dafür, dass sich die ViP intern neu aufstellt? Peter Stricker, Joachim Rabensteiner, Martin Metz, die Geschäftsführer von Kastelbell, Naturns und Latsch haben ihren Arbeitsplatz ab sofort in der ViP, Kurt Ratschiller kommt hinzu. Was steckt hinter der Personalrochade?
Martin Pinzger: Die Veränderungen am Markt machen es notwendig, dass wir noch professioneler auftreten. Wir machen im Verkauf und in den Genossenschaften nun den nächsten Schritt. Wir haben jetzt mehrere Generationen von Geschäftsführern gehabt, die für alles zeitgleich zuständig waren. Sie haben die Genossenschaft geführt, die Mitglieder betreut, das Personal rekrutiert und motiviert, gemeinsam mit dem Vorstand die Investitionen geplant und umgesetzt, und bis heute Äpfel verkauft. Allein die Aufzählung der ganzen Aufgaben sagt: Die Geschäftsführer waren Teilzeitverkäufer. Und ist es zeitgemäß, dass wir mit Teilzeitverkäufern unterwegs sind? Der Einkäufer hat immer weniger Zeit,immer größere Ansprüche und immer mehr Auswahl. Da kann man nicht sagen: Ich kann morgen nicht bei dir sein, weil ich eine Vorstandssitzung habe. Der Kunde ist König. Wir müssen Qualitätsleader sein. Die Qualität spiegelt sich wider in Produktqualität, in Sortimentsqualität und im Service. Die ViP will First Class Apple Partner sein.

Vinschgerwind: Vor allem die junge Riege der Geschäftsführer hat auf diese personelle Neuausrichtung gedrängt.
Martin Pinzger: Ganz genau. Dahinter steht, dass wir zu 100 Prozent den Verkauf der Äpfel hier in der Zentrale unter der Koordination von Kurt Ratschiller, Martin Metz und Joachim Rabensteiner abwickeln. Fabio Zanesco und Gerhard Eberhöfer bleiben die Macher und Experten für die strategischen Bereiche Vertragssorten und Bio. Hinter Peter Stricker steht, dass wir eine koordinierte und geschlossene Abwicklung der Sortierung und Verpackung brauchen. Das heißt, um die ganzen Effizienzmöglichkeiten auszuloten und auszureizen, müssen wir perfekt aufeinander abgestimmt operieren, und das wird in Zukunft Peter Stricker als erfahrener Geschäftsführer von der Zentrale aus mitsteuern.

Vinschgerwind: Wer füllt das Vakuum, das die Geschäftsführer in der jeweiligen Genossenschaft hinterlassen?
Martin Pinzger: Warum Vakuum? Wir werden in den Genossenschaften künftig Verantwortliche haben, die sich ausschließlich auf Kosten- und Prozessoptimierung konzentrieren können. Mit Hannes Spögler in der GEOS, Reinhard Ladurner in der ALPE und Markus Niederegger in der OVEG haben wir drei erfahrene Geschäftsführer. In der Texel haben wir mit dem bisherigen Produktionsleiter Christoph Pircher eine interne Lösung gefunden. In der Juval wird Stefan Gorfer die Genossenschaftsleitung übernehmen, er war bis jetzt hier in der ViP-Zentrale Produktmanager und vorher Produktionsleiter in der Biopackstation, und in der Mivor ist mit Roland Zischg ein neues Gesicht am Werk. Die Zukunft liegt in der Erlösoptimierung einerseits und in der Kostenoptimierung andererseits.

Vinschgerwind: Ist das eine Art ViP-4? Nach 15 Jahren ViP-3-Konzept, dem einheitlichen Vermarktungskonzept.
Martin Pinzger: Es ist der Vollausbau von ViP-3.
Vinschgerwind: Und was ist mit ViP-4?
Martin Pinzger: Das wird kommen, nach drei kommt immer vier und nicht 2. ViP-4 wäre der Zusammenschluss bilanztechnisch der Genossenschaften mit der Zentrale. Das wäre eine Variante. Es gibt mehrere Varianten.

Vinschgerwind: Wann kommt der vom Obmann Oberhofer im Vinschgerwind-Interview 2020 angekündigte totale Herbizid-Verzicht?
Martin Pinzger: Es gibt ein Projekt, das 2017 beschlossen worden ist, bei dem IP-Bauern, die wie die Bio-Bauern eine mechanische Unkrautbekämpfung machen, einen Unkostenbeitrag pro Hektar erhalten sollen. Die ViP hat eine bestimmte Tradition bei nachhaltigen Entwicklungen vorne dabei zu sein und in diesem Sinne sehen wir dieses Projekt: Wir zahlen einen symbolischen Beitrag von 120 Euro pro Hektar für 5 Jahre. Ab 2020 haben wir den Betrag dann auf 300 Euro pro Hektar erhöht. Es wurde jedoch nie von einer flächendeckenden Zielsetzung gesprochen. Ein totaler Herbizid-Verzicht ist unrealistisch.

Vinschgerwind: Was ist realistisch?
Martin Pinzger: So viel wie möglich, überall dort, wo es Sinn macht. Ab 2023 werden wir unseren Mitgliedern eine 2. Option anbieten, wo wir einen Herbizid-Einsatz nach der Ernte – außerhalb der Vegetationsperiode – erlauben und 120 Euro Beitrag pro Hektar geben. Das ist in unserem und im Sinne der EU-Strategie, Chemie auf den Feldern zu sparen.
Vinschgerwind: Der Markt wird immer härter. Vor zwei Jahren haben die Fusionspläne mit der VOG verneint. Die Zeit sei noch nicht reif.
Martin Pinzger: Die ViP hat sich weiterentwickelt. Wir stellen fest, dass auch der VOG mit VOG 2.2 einen Zentralisierungsschritt macht. Man kann sicherlich sagen, dass man Entwicklungen beobachtet, die morgen einen Zusammenschluss erleichtern könnten. Das Genossenschaftswesen hat sich schon immer weiterent-wickelt. Aber nicht von heute auf morgen.

Vinschgerwind: Stichwort Strom: In den vergangenen Jahren bepflasterte man die Dächer der Genossenschaften mit Photovoltaikanlagen. Hat man die Hausaufgaben gemacht?
Martin Pinzger: In weiser Voraussicht haben wir viele Photovoltaikanlagen installiert, und wir werden das intensiv weiter umsetzen, weil wir große Dachflächen haben. Die Planungen stehen auch für die nächsten Jahre bereits.
Vinschgerwind: Die Lagerung und Verarbeitung der Äpfel ist stromintensiv. Mit wieviel Mehrkosten rechnen Sie?
Martin Pinzger: Die Kosten steigen genauso wie für den privaten Haushalt. Die Südtiroler Obstwirtschaft ist gut organisiert: Die ViP, der VOG und VOG Products tätigen bereits seit Jahren sehr professionell und gemeinsam den Stromeinkauf. Wir machen Ausschreibungen, und Lottozukäufe. Der Strom vom 3. und 4. Trimester 2022 ist von uns bereits vergünstigt eingekauft worden. Das heißt die richtige Breitseite der Stromerhöhung spüren wir erst ab dem 1. Jänner 2023. Wir haben das heurige Jahr gerettet, aber ab dem 1. Jänner sind wir genauso ausgeliefert wie jeder private Haushalt und wir hoffen natürlich, dass unsere Politik für jeden privaten Haushalt und die Wirtschaft in Südtirol eine Lösung findet. Und da möchte ich unterstreichen, pochen wir NICHT auf eine Sonderbehandlung.
Vinschgerwind: 2020 gab es für die ViP knapp 11 Millionen EU-Agrargelder. Ein Batzen Geld. Wieviel EU Gelder schöpfte die ViP im vergangenen Jahr ab und wohin fließt dieses Geld?
Martin Pinzger: Die EU-Gelder sind immer umsatzbedingt. 2020 war diesbezüglich ein außergewöhnliches Jahr. Normalerweise sind das zwischen 8 und 9 Millionen im Jahr. Dieses Geld wird primär für die Investitionen in den Genossenschaften draußen verwendet. Wir können vier Maßnahmen abrechnen: Umweltmaßnahmen, Kosten senkende Maßnahmen, Maßnahmen, die den Marktauftritt verbessern und Qualitätsverbesserungsmaßnahmen. Das sind Ausgaben, die wir zum Großteil im Vinschgau tätigen und für lokale Wertschöpfung sorgen. Es gibt in Italien oder europaweit kaum Erzeugergenossenschaften, die seit 1995, seit es diese Gelder gibt, 100 Prozent dieser Gelder ausgenutzt haben. Dies ist das große Verdienst der historischen ViP- und Genossenschaftsverantwortlichen, mit den jeweiligen Mitarbeitern in der Verwaltung.

Vinschgerwind: Womit wir beim Wielander Sepp wären. Wie oft haben Sie diesen in den vergangenen drei Jahren um Rat gefragt?
Martin Pinzger: Alle paar Monate einmal.
Vinschgerwind: Scherz beiseite. Wie lautet das Resümee für die vergangenen drei Jahre?
Martin Pinzger: Spannende Zeit. Ich bin im Frühjahr 2019 als Direktor in die ViP gekommen und 2020 im Frühjahr ist Covid losgegangen und Covid ist bis heute ständiger Begleiter. Dann kam der Ukraine-Krieg. Der Konsum ist im freien Fall – auch für Äpfel.
Vinschgerwind: Also, Sie haben es nie bereut, dass Sie sich haben überreden lassen, den Direktorposten anzunehmen?
Martin Pinzger: Nein.

Interview: Angelika Ploner

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