Portrait
Der Graf auf hoher See

Graf Clemens fürchtete die Reaktion seines Vaters, als er ihm einst eröffnete, dass er das Studium in Innsbruck aufgeben und zur See fahren wollte. Doch der Vater zeigte sich keineswegs überrascht. „Das liegt in der Tradition der Familie“, sagte er. „Denn der Urgroßvater war einst bei der k & k Kriegsmarine in Triest.“ Clemens war erleichtert.
Im vergangenen Juli verbrachte er einige Tage mit seiner Familie und seinen Eltern im Ansitz Plawenn, ehe er eine wochenlange Fahrt auf einem Mehrzweckfrachter im Mittelmeer antrat.
Clemens kennt in Plawenn jeden Winkel. In den Ferien als Kind traf er sich mit dortigen Spielkameraden, schauten den Bauern beim Melken zu und half bei der Heuernte. Der Lebensmittelpunkt der Familie ist Bischofshofen. Dort wuchs Clemens mit seinen drei Geschwistern auf. Sein Vater arbeitete bis zu seiner Pensionierung als Frauenarzt und seine Mutter Ilse als praktische Ärztin. Clemens besuchte das Privatgymnasium St. Rupert. Bei einem Schulaustausch als Maturant lernte er die Stadt Santos in Brasilien kennen. Besonders angezogen war er vom Hafen. „Dieser weckte in mir schon damals die Lust auf Meer“, erinnert er sich. „Über mehrere Ecken bin ich dann zur Nautik gekommen.“ Doch es dauerte, bis es so weit war. Erstmals begann er an der Universität in Santos Sozialwissenschaften zu studieren. Nach eineinhalb Jahren gab er es auf, denn es war nicht seines. Er trat den Zivildienst im Krankenhaus in Schwarzach an und begann dann das Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Universität Innsbruck. „Das war für mich auch nicht das Richtige. Mir war alles zu theoretisch und zu langweilig“, verrät er. „Ich suchte nach einer Aufgabe, bei der man Kopf und Körper braucht und die Welt sieht.“ Diese Aufgabe fand er im Nautik-Studium in der Stadt Leer in Ostfriesland. Der Lehrplan bot ihm ein breitgefächertes Programm in Theorie und Praxis, das sich abwechselte. Im September 2009 wurde er dem Containerdienst zwischen Hamburg und Südkorea zugeteilt. Groß war seine Vorfreude, aber auch seine Anspannung. Auf einem Schiff mit 6.000 Containern an Bord stach er erstmals in See. „Man weiß, auf was man sich einlässt, denn man ist vorbereitet“, erklärt er. Die Route führte von Hamburg durch das Mittelmeer über den Suezkanal nach Saudi-Arabien, Dubai, Singapur, Japan, China und schließlich nach Südkorea. „Das Leben auf dem Schiff ist eine komplett andere Welt. Man ist dort gefangen, wohnt auf engstem Raum, und man ist permanent im Schichtdienst“, beschreibt er. „Und man muss mit den unterschiedlichsten Befindlichkeiten der Menschen an Bord zurechtkommen. Das Löschen und Laden des Containerschiffes in den jeweiligen Häfen dauerte von sechs bis zu 30 Stunden. Viel Zeit an Land zu gehen, blieb ihm nicht. Und dennoch war es ein besonderes Erlebnis, in fernen Ländern zu ankern. Im Laufe seiner Karriere erreichte er die größten Häfen der Welt. „Oft ist es auch gefährlich, denn Piraterie ist immer noch ein Thema“, erzählt er. „Im Golf von Aden wurden wir beklaut.“ Clemens sammelte Erfahrungen auf Passagierschiffen, auf Forschungsschiffen, auf Roll on Roll off Schiffen und auf Ankerziehschleppern. Diese werden bei der Verschleppung von Bohrinseln und großen Offshore-Einheiten ohne eigenen Antrieb verwendet. „Dieser Bereich hat mir am meisten zugesagt, und ich bin schließlich im Offshore Bereich der Öl- und Gasindustrie gelandet“, sagt er. Inzwischen hatte er seine Frau Bianca Boden in Leer kennengelernt und war Vater eine Tochter geworden. Um für seine Familie mehr Zeit zu haben, nahm er später die Stelle als Lehrkraft für besondere Aufgaben im Bereich Seefahrt und Nautik an der Hochschule Emden/Leer an. Er absolvierte nebenbei erfolgreich auch das Masterstudium in „Maritime Operations“ und wurde nochmals Vater von zwei Söhnen.
Mittlerweile verbringt er nur noch wenige Wochen im Jahr auf dem Meer. „Der Reiz ist immer noch da, und es ist für mich auch wichtig, meinen Studenten den Praxisbezug vermitteln zu können“, betont er. Als Dozent hat er sich längst einen Namen gemacht. Er forscht zum Beispiel im Bereich „the remote operator“ (Bedienung einer Anlage aus der Ferne). Das ist eine neue Berufsperspektive im maritimen Sektor. Nach Plawenn kommt Clemens immer wieder gerne. Da kann er in Ruhe und Abgeschiedenheit mit seiner Familie die Zeit genießen und ausspannen.