Montag, 05 Oktober 2015 00:00

„Dia honn i nit gearn gian gsechn“

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s17 347„Dia honn i nit gearn gian gsechn“, meint Luisa Witt, nachdem sie sich kürzlich von zweien ihrer vier Kühe verabschiedet hatte, um sich die Arbeit etwas zu erleichtern, die sie gemeinsam  mit ihrer Schwester Moidl bewältigt. Durch das Fehlen männlicher Arbeitskräfte am Hof wurden beide in eine Selbständigkeit gezwungen, an die sie sich gewöhnt haben. So verbindet die beiden ein vielfältiger Arbeitskreis und Auftrag und Berufung den heimatlichen Hof zu bewirtschaften und zu erhalten.

von Maria Gerstgrasser

Der Hof, den beide zeitlebens nie verlassen haben, ist Plattatsch am Naturnser Sonnenberg.

Laut einer Urkunde von 1324 gehörte dieser Hof der Pfarre Naturns und trug daher mit seinen Einkünften auch zum Unterhalt der Karthäuser bei, solange diese das Patronatsrecht über die Pfarre ausübten. Davon wissen die beiden Schwestern und berichten auch, dass der Familienname Witt von einem französischen Soldaten stammt, der vor gut zweihundert Jahren am Hof eingeheiratet hatte und dass es in Südtirol, außerhalb ihrer engsten Verwandtschaft, nur noch einen Träger dieses Namens gibt.
Bereits in den Jugendjahren war für beide der gemeinsame Lebensweg vorgezeichnet, und zeitlebens verband das gleiche Schicksal die beiden Schwestern. Gemeinsam besuchten sie drei Jahre lang die einklassige Volksschule auf Außergrub und die restlichen auf dem Hof „Unterrain“. Gar manchmal ging ihnen der Bauer entgegen, um sie auf dem Rücken durch den tiefen Schnee zur Schule zu tragen. Gern erzählen sie von ihrem Alltag auf dem Hof und von einstiger harter Arbeit, die sie nach dem Tod der Eltern und der Heirat ihrer Schwester Seffa allein bewältigten. Wenn sie das Vieh auf die „Moaralm“ hinauf trieben, brauchten sie zwei Tage, wobei sie auf Patleid oder Lint übernachteten. Nächtelang war es oft notwendig, „Facklsauen“ oder „Kälberkühe“ zu betreuen. Durch Missernten und Rückschläge ließen sie sich nicht entmutigen, schimpfen aber heute noch über den Marder, der ihnen die Maiskolben abfraß. Im Zuge erster Mechanisierung kamen auf Plattatsch auch Seilwinde und Seilzug zum Einsatz, wobei eine der Schwestern den Motor betätigte und die andere den Pflug schob. So wurde das Anbauen für sie und die Zugtiere eine große Entlastung. Bis Mitte der 60er Jahre trugen sie Säcke mit Getreide zur Mühle und dann das Mehl wieder zurück. Die hofeigene Mühle war ein halbe Stunde Gehzeit entfernt und nur über einen schmalen Steig zu erreichen.
Wie auf allen anderen Höfen entschlossen sich Luisa und Moidl den Getreideanbau zu Gunsten der Milchwirtschaft aufzugeben, und Moidl brauchte nun nicht mehr kontrollieren, ob Luisa die Samenkörner auch gleichmäßig ausstreut. Sie verwandelten die Felder in Grünflächen und hatten sich schon vorher drei Feldbahnlen errichten lassen. Heute ist noch das „Milchbahndl“ mit Umlaufzugseil in Betrieb, das täglich die Milch zur Straße bringt. Das Tragen der Milchkannen ist nun allerdings beschwerlicher geworden. Bei der Heuernte mit Mähmaschine und Ladewagen lassen sich die beiden heute von Kindern und Enkelkindern gerne helfen, denn sie und die Schwester Seffa hatten insgesamt vier uneheliche Kinder. Die Schwierigkeiten, denen sie dadurch begegneten, waren vielfältig. Schmach und Schande mussten sie ertragen, denn in der damaligen Zeit ließen sich Ehelosigkeit und Mutterschaft schwer vereinbaren. Das dörfliche Gerede ist ihnen tief im Gedächtnis geblieben. Wenn sie heute davon erzählen, berichten sie vorwiegend über Frauen, die ebenso vom damaligen Makel der Unehre betroffen waren. Sie wissen um das harte Los dieser Kinder in der Nachbarschaft und im Dorf. Aber alle ihre vier Kinder hatten das Glück miteinander am Hof auf zu wachsen wie in einer normalen Bauernfamilie, und Erfahrungen der Ausgrenzung blieben ihnen erspart. In der Schule und anderswo wurden sie oft für richtige Geschwister gehalten. Sie haben dann ihren eigenen Lebensweg gefunden, kommen aber immer wieder mit den Enkelkindern zu Besuch und Hilfe. Luisa und Moidl teilen sich die Freude darüber und auch das Leid, das ihnen der Tod eines Enkels und eines Urenkels verursacht hat.
Nicht immer einig sind sich die beiden Schwestern, wenn es um den Speiseplan geht. Während Moidl sich ausschließlich alte traditionelle Bauernkost, wie „a guats Muas und an Milchreis“ wünscht, verschmäht Luisa keineswegs Gerichte aus der modernen Küche, die ihr die Tochter manchmal mitbringt. Aber beide verschenken ihre Liebe zu Pflanzen und Blumen und pflegen als eingespieltes Team mit Sorgfalt und Fachkenntnissen den Gemüse- und Blumengarten. Verwundert bleibt wohl jeder stehen, um die Blütenpracht der vielen Dahlien, des Phlox und der Rosen zu betrachten. Vierzigjahre alte Fuchsienstämmchen stehen neben alten Heil- und Duftkräutern, wie „Hochgemuth“, „Wohlgemuth“ und „Stubenhocker“, die nur noch in wenigen Bauerngärten zu finden sind.
Wenn man das Haus betritt glaubt man vorerst einmal, die Zeit wäre hier wohl stehen geblieben. Der Boden am Eingang ist noch mit Steinplatten ausgelegt, und ausgetretene Steinstufen führen hinauf in die Wohnräume. Für die Körperwäsche steht ein Schaff bereit, und so sind die beiden wohl nie in einer Badewanne gesessen. Das warme Wasser wird wie ehedem aus dem „Wanndl“ am Herd geschöpft. Bis heute haben die beiden auch auf das Fernsehen verzichtet, denn ihre „kleine Welt“, die sie sich erhalten haben, reicht ihnen vollkommen. So beweisen uns die beiden, dass ein Leben in heute unfassbarer Genügsamkeit glücklich und zufrieden machen kann.

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