Kultur: Die Würde des Menschen - Referate und Überlegungen zu den Marienberger Klausurgesprächen

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Teilnehmer:innen bei den 29. Marienberger Klausurgesprächen im Innenhof und im Seminarraum Teilnehmer:innen bei den 29. Marienberger Klausurgesprächen im Innenhof und im Seminarraum

Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen. So lautet der 1. Artikel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, verabschiedet am 10. Dezember 1948 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen. Die Würde des Menschen ist unantastbar, so heißt es in vielen Erklärungen und Verfassungen. Was ist damit gemeint? Ist diese Selbstverständlichkeit auch heute, in einer Zeit der Ambivalenzen, der Globalisierung, der Kriege, der Migration und der Künstlichen Intelligenz noch selbstverständlich? Solche Fragen standen im Mittelpunkt der 29. Marienberger Klausurgespräche am 10. bis 12. April 2025 mit dem Titel „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Facetten (k)einer Selbstverständlichkeit“. Günther Andergassen, der Präsident der Marienberger Klausurgespräche, hat in seiner Einführung auf vier Kränkungen der Menschheit hingewiesen. Auf zwei Referate der Klausurgespräche möchte ich näher eingehen, weil die beiden Referenten, die Schriftstellerin Maxi Obexer und der Theologe Peter Kirchschläger aus unterschiedlichen Perspektiven das Thema behandelt haben. Ich werde die vorgetragenen Grundgedanken mit eigenen Überlegungen verbinden. Dabei geht es um die zentrale Frage: Was ist der Mensch, welche Rolle spielt er auf der Erde und im Kosmos?
Vier Kränkungen der

Menschheit: Die kosmologische, biologische, psychologische und technologische

Es war Sigmund Freud, der 1917 von den großen Kränkungen der Menschheit sprach und mit diesem Begriff das damalige Selbstverständnis des Menschen durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse in Frage gestellt sah. Es sind narzisstische Kränkungen, d.h. die Selbstverliebtheit, Selbstbewunderung oder Selbstüberschätzung des Menschen wurde hinterfragt. Der Mensch wurde von seinem hohen Ross, als Krone der Schöpfung und Beherrscher der Welt, heruntergeholt. Die erste Erschütterung ist die kosmologische Kränkung durch Kopernikus und die Kopernikanische Wende. Damit wurde klar: Die Erde ist nicht der Mittelpunkt der Welt. Die zweite Kränkung ist die biologische Kränkung durch Darwin. Damit wurde das Schöpfungsvorrecht des Menschen zunichte gemacht. Der Mensch ist Teil einer evolutionären Entwicklung und stammt aus dem Tierreich ab, was auf seine animalische Natur verweist. Die dritte Kränkung geht auf Freud zurück. Es ist die psychologische Kränkung, die besagt, dass wir nicht Herren im eigenen Haus sind, sondern unser Bewusstsein durch unbewusste Kräfte, Triebe, Wünsche und Ängste gesteuert wird. Als vierte große Kränkung der Menschheit wird heute die technologische bzw. digitale Kränkung bezeichnet. Gemeint ist damit, dass die Menschheit von selbstgeschaffenen Machwerken beherrscht wird, dass wir eine Welt, Weltanschauungen und Technologien geschafften haben, die wir nicht mehr beherrschen. Gemeint sind die Atomenergie, Gentechnik, Erderwärmung, Finanzkrise, Internet, Netzüberwachung, Fake-News, Künstliche Intelligenz… Einige Philosophen vergleichen die Lage des Menschen mit der von Goethes Zauberlehrling.

Die Würde der Tiere und die Würde der Menschen als Gemeinschaftswerk

Maxi Obexer, die Südtiroler Schriftstellerin und Dramatikerin, die den Roman „Unter Tieren“ geschrieben hat, spricht von der Würde der Tiere, vom gemeinsamen Raum, den wir Menschen mit den Tieren und Pflanzen einnehmen. Sie spricht von der Beziehung zwischen Tier und Mensch, vom Vertrauen, der Würde und dem Bewusstsein der Tiere. Sie spricht auch von Massentierhaltung, Tierversuchen und Tiertransporten. Sie spricht vom Anthropozentrismus, d.h dass der Mensch sich selbst als den Mittelpunkt der weltlichen Realität versteht. Würde existiert, wo wundervoll gehandelt wird, meint Obexer. Die Unantastbarkeit der Würde gibt es nicht, sie muss ausgehandelt und immer wieder eingefordert werden. Was Würde ist, wie sie gelebt und kontrolliert wird, das ist Gemeinschaftswerk und muss jede Gemeinschaft immer wieder erarbeiten. Die Würde von Millionen Menschen wir täglich verletzt, obwohl es die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte gibt, obwohl in den Verfassungen und unzähligen Erklärungen die Rechte und Würde der Menschen festgeschrieben ist. Es gibt Misshandlungen, Kriege, Diskriminierung, Rassismus. Es gibt körperliche Gewalt, psychische Gewalt, Folter, Unterdrückung, Manipulation gegen einzelne Personen und gegenüber ganzen Gruppen und Völkern. Es gibt Diskussionen über die Tierethik, über die richtige Tierhaltung. Menschen haben Gefühle, aber auch Tiere fühlen den Schmerz. Wir müssen unsere anthropozentrische Haltung aufgeben und uns als Teil der Natur sehen, von der wir abhängig sind, mit der wir kooperieren müssen. Wir müssen der Natur mit Würde, mit Achtung begegnen, genauso wie den Tieren und den Menschen. Tiere sind nicht nur Waren, Objekte, Ressourcen, die uns Essbares liefern, Tiere geben auch Trost und Liebe. Tiere sind treue Begleiter des Menschen. Obexer meint, dass sich früher der Hausherr eine Hausfrau und ein Haustier hielt. Was verrät die Sprache über die Wirklichkeit? Bildet sie nur die Wirklichkeit ab oder schafft sie auch Wirklichkeit? Wer ist der Mensch, wer sind wir im Gesamtgefüge der Lebewesen? Braucht der Mensch, um Mensch zu sein, ein Tier, oder ist der Mensch ein Mensch, weil er sich vom Tier unterscheidet? Solche Fragen wurden in der Diskussion gestellt. Ich persönlich bin dankbar, dass ich mit Tieren aufwachsen konnte; ihre Sorge umeinander, ihre Zartheit und Zärtlichkeit, ihr Spiel – und im Spiel zu lernen, die Schönheit, mit ihnen in der Welt zu sein, alles, was ich auch Menschen verdanke. Allein schon, ihnen zuzusehen, machte mich – und nicht nur mich, glücklich, so Maxi Obexer.

Künstliche Intelligenz (KI) und der Schutz der Menschenrechte

Im Jahr 2025 ist es möglich, eine App auf den Markt zu bringen, die Kinderbilder sexualisiert und das Einzige, was diesem Unternehmen passiert, ist, dass es viel Geld damit verdient. Im Jahr 2025 ist es möglich, mit Sozialen Medien innerhalb weniger Stunden ein friedliches, funktionierendes und wohlhabendes Land zu destabilisieren. Dagegen müssen wir etwas tun! So begann der Theologe und Philosoph Peter Kirchschläger sein Referat. Seit 25 Jahren beschäftigt er sich mit dem Thema. Er spricht lieber von datenbasierten Systemen (DS), denn die sogenannte KI ist nicht intelligent, sie rechnen nur schneller. KI-Systeme haben keine emotionale und keine soziale Intelligenz. KI macht, was Menschen vorgeben. Nur wir Menschen können erkennen, was ethisch richtig ist, Maschinen können das nicht. Durch die großen Datenmengen und die Sozialen Medien sind wir manipulierbar geworden, beim Einkaufen, Wählen und bei den täglichen Entscheidungen. Deshalb braucht es eine Kontrolle über Daten, es braucht menschenrechtsbasierte Daten, so Kirchschläger. So kann die Verbreitung von Fake News und Verschwörungstheorien entgegengewirkt werden. Damit alle Menschen mit DS aufblühen, hat die UN-Generalversammlung die Resolution „Nutzung der Chancen sicherer und vertrauenswürdiger Systeme der künstlichen Intelligenz für eine nachhaltige Entwicklung“ verabschiedet, die auf „sichere und vertrauenswürdige Systeme der künstlichen Intelligenz“ abzielt. Es ist jetzt dringend erforderlich, die Resolution der UN-Generalversammlung umzusetzen, indem nachhaltige und menschenrechtsbasierte datenbasierte Systeme (HRBDS) gefördert und eine Internationale Agentur für datenbasierte Systeme (IDA) bei den Vereinten Nationen eingerichtet wird. So wie die Internationale Atomenergiebehörde (IAEO) bei den Vereinten Nationen die Forschung und Entwicklung auf dem Gebiet der Nukleartechnik kontrolliert, so soll eine Internationale Agentur für datenbasierte Systeme (IDA) die Kontrolle über die Daten und die KI-Systeme behalte, alles zum Schutz der Menschenrechte. Nach Kirchschläger gibt es ein wachsendes internationales und interdisziplinäres Netzwerk von Expertinnen und Experten, die die Gründung von HRBDS und IDA fordern. Es geht darum, die Sicherheit zu erhalten, die Menschenwürde und auch die Selbstwürde.

Heinrich Zoderer

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