Kultur: Erinnerung & Perspektiven: Gegen das Vergessen

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Die Verbindung von „Gegen das Vergessen“ mit perspektivischem Denken erfordert ein bewusstes Engagement für die Vergangenheit und die Bereitschaft, verschiedene Blickwinkel zu akzeptieren. Indem wir die Vergangenheit aktiv bewahren und gleichzeitig offen für unterschiedliche Perspektiven sind, können wir ein tieferes Verständnis für unsere Welt entwickeln und die Lehren der Geschichte in die Zukunft tragen. In diesem Sinne werden im Laufe des Jahres anlässlich des Gedenkens an die Seestauung vor 75 Jahren mehrere Veranstaltungen unter dem Motto „Erinnerung und Perspektiven“ organisiert. Der Bildungsausschuss Graun koordiniert die Initiativen, während die Gemeindeverwaltung die Vorhaben unterstützt und finanziert. Als Partner konnten der Sportfischerverein Oberland, das Museum Vinschger Oberland, der Schulsprengel Graun, der s28 kultur1 seestauung graunAdrelanina Kitesurf Club Reschensee und die Ferienregion Reschensee gewonnen werden. Nach der feierlichen St. Anna-Prozession am 27. Juli – genau an diesem Tag im Jahr 1950 wurde mit der Sprengung der Pfarrkirche durch die Montecatini begonnen, wobei auch der Turm im Sprengprogramm enthalten war – wird einem mutigen Mann gedacht, der dies zu verhindern wusste. Mit einem Festakt, einer Broschüre und einem Gedenkstein wurde in Anwesenheit seiner Verwandten dem Retter des Alt-Grauner Kirchturms ein „Gesicht und ein Name“ gegeben und damit ein Stück der Geschichte rund um die Seestauung neu geschrieben.

Von Ludwig Fabi

 

Die Rettungsaktion des Grauner Kirchturms
Am 26. Juli 1949 feierte man in Graun den letzten St.-Anna-Kirchtag. Die Grauner verabschiedeten sich mit einer großen Prozession durch das Dorf und über die Anger von ihrem Dorf. Die Probestauung an der Staumauer war schon voll im Gange. Im Frühjahr 1950 wurden die Schleusen definitiv geschlossen und Anfangs Juni 1950 in Unter-Graun schon die ersten Häuser gesprengt.
Am 9. Juni 1950 wurde in der Pfarrkirche die letzte hl. Messe abgehalten und danach das „Allerheiligste“ in die höher gelegene St.-Anna-Kapelle gebracht. Am 14. Juli 1950 bitten der Bürgermeister Alois Noggler und der Pfarrer Alfred Rieper das Denkmalamt in Trient, sich dafür zu verwenden, dass der Kirchturm in Besitz der Grauner Pfarrei nicht abgerissen werde. Am Sonntag, den 16. Juli 1950 verschickte der Soprintendente Arch. Guiotto in Trient ein Eil-Schreiben an die Montecatini in Bozen und an den Baustellenleiter Geom. Gardumi in Graun, in welchem er klarstellte, dass der Turm von Graun aus dem 14. Jahrhundert – wegen seines Alters und seiner künstlerischen Merkmale - unter Denkmalschutz stehe und dass man im Einvernehmen mit der Bevölkerung diesen Turm erhalten wolle, zumal vom starken Mauerwerk keine Gefahr für Personen oder das neue Stauwerk ausgehe und darüber hinaus die Gesellschaft durch den Erhalt des Turms sogar Kosten sparen könne. Er wies darauf hin, dass ohne Genehmigung des Denkmalamtes nichts unternommen werden dürfe und ersuchte daher die Gesellschaft, unverzüglich Anweisungen an die eigenen Mitarbeiter zu erteilen, den Turm intakt zu belassen.

 

 

Dem Retter des Turms einen Namen geben
Am 20. Juli 1950 intervenierte die Konzernspitze der Montecatini direkt im Ministerium in Rom und verwies im Antwortschreiben an den Soprintendente Arch. Guiotto, dass die Kraftwerkskonzession und das von der Gesellschaft unterschriebene Auflagenheft („disciplinare“) die völlige Unterwassersetzung des Dorfes Graun und somit auch des Kirchturms vorsehe. Man nehme zur Kenntnis, dass der Turm in der Liste der denkmalgeschützten Gebäude beim Ministerium enthalten sei, aber es stehe außer Frage, dass er in kürzester Zeit – im Spiel von Stauung und Entleerung durch die 40 bis 80 cm dicke Eisbildung im Winter und die „Gefrist“ im Inneren des Turms – einstürzen würde. Der Soprintendente Arch. Guiotto gibt dem Drängen der Montecatini nicht nach – s28 kultur2 seestauung graunim Gegenteil: Er bestätigt vollinhaltlich seine im Juli übermittelten Ratschläge und Bewertungen an den Minister, auch anhand einiger aktueller Fotografien. Die Montecatini wolle den Abriss (mit ungenügend begründeten Sicherheitsbedenken), während die Bevölkerung den Turm hauptsächlich aus emotionalen Gründen erhalten möchte. Das Denkmalamt sei der Meinung, dass der Erhalt des denkmalgeschützten Baus in bestem Erhaltungszustand – auch wenn er zu einem Drittel im Wasser stehe – einem unverzüglichen Abbruch vorzuziehen sei, zumal die Präsenz des Bauwerks als letztes Zeugnis des Dorfes Graun dem Stauwerk keinen Schaden zufüge. Kultur und Schulminister Guido Gonella (in der Regierung De Gasperi) hat sich den Ratschlägen und den Argumenten des obersten Denkmalschützers in Trient voll angeschlossen und die Sache „ausgesessen“. Das Wasser stieg im August weiter und der Turm war vorerst gerettet. Mit Schreiben vom 17. Februar 1951 erkundigte sich der Minister Guido Gonella persönlich beim Denkmalamt in Trient, wie es um den Erhalt des Kirchturms von Alt-Graun stehe. Der Soprintendente Arch. Guiotto konnte berichten, dass sich die Montecatini nach der direkten Intervention beim Ministerium in Rom am 19. August des Vorjahres nicht mehr gemeldet habe. Es sei anzunehmen, dass die Gesellschaft als Eigentümerin der großen Kraftwerksanlage mittlerweile eingesehen habe, dass der Erhalt des teilweise unter Wasser gesetzten Turms definitiv dem Stauseebetrieb keine Nachteile bringe – auch nicht der Schifffahrt auf dem See.

Quellen und Fotos aus der Publikation: „Der Turm von Alt-Graun“ – Autoren: Florian Eller, Valentin Paulmichl, Albrecht Plangger, Ludwig Schöpf

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