Kolumne - Im Juli 1995, also vor 30 Jahren, ermordeten serbische Milizen unter dem Kommando von Radovan Karadzic und Ratko Mladic in der bosnischen Stadt Srebrenica an die 8.000 Moslems. Das Massaker wurde verübt zum Zwecke der ethnischen Säuberung: Jener Teil von Bosnien-Herzegovina war ethnisch gemischt von Serben und Bosniaken bewohnt und sollte nach dem Willen der Freischärler ethnisch „rein“, also nur von Serben bewohntes Siedlungsgebiet werden. Der Massenmord wurde „vor der Nase“ von 450 holländischen UNO-Soldaten verübt. Im Jahr danach war Gabriel Grüner als Kriegsreporter für den „Stern“ zusammen mit dem Fotografen Uli Reinhardt vor Ort, um zu berichten, wie der Gerichtsmediziner William Haglund im Auftrag des UN-Kriegsverbrecher-Tribunals von Den Haag in den Wäldern um Srebrenica in sieben Massengräbern die verscharrten und halbverwesten Leichen der Opfer des Masakers exhumierte und untersuchte.
Warum dieser wenig erbauliche Exkurs in die von Blut triefende jüngere Geschichte des Balkans? Nun, mit dem Chefredakteur ist ausgemacht, ich sollte Porträts von Vinschgern „liefern“, die sich draußen in der Welt „einen Namen gemacht“ haben. Bei der Suche nach einem solchen bin ich bei dem im Jahre 1963 in Mals geborenen Gabriel Grüner „hängen geblieben“. Dessen Lebensgeschichte hat mich nicht mehr losgelassen. Dabei kam eine derartige Fülle an Material zusammen, dass ich eine Teilung vornehmen und das eigentliche Porträt auf einen späteren Beitrag verschieben musste. Vorab daher bloß eine Erklärung, wie Gabriel Grüner überhaupt an den Ort des Grauens nach Srebrenica kam. Nach dem Studium der Germanistik an der Universität Innsbruck absolvierte er die renommierte Henri-Nannen-Journalistenschule in Hamburg. Sein Wunsch wäre gewesen, eine Stelle in der Kulturredaktion der Wochenzeitschrift „Die Zeit“ zu bekommen. Doch er musste, obwohl von seinem Wesen her das Gegenteil eines Draufgängers, für den „Stern“ als Kriegsberichterstatter tätig werden. Und so kam er ab 1991 in alle Krisengebiete der Welt, vom Südsudan bis Afghanistan und natürlich auch auf den Balkan in das in Auflösung begriffene ehemalige Jugoslawien, wo sich Slowenen, Kroaten, Serben, Bosniaken und Albaner in blutigen Bürgerkriegen gegenseitig zerfleischten. Bei seinen Einsätzen war er immer auch in Lebensgefahr. So musste er einmal, um aus dem von den Serben belagerten Sarajevo heraus zu gelangen, über die berüchtigte Heckenschützenallee zum Flughafen fahren. Er legte sich mit seinem Reporterkollegen flach übereinander auf den Rücksitz des Taxis und deckte sich mit einer kugelsicheren Weste zu. Der Fahrer raste in mörderischem Tempo über die kilometerlange Strecke unter dem Beschuss der Heckenschützen zum Airport. Während der acht Jahre als Reporter war der Krieg Teil seines Lebens geworden. Doch dann hatte er, wie er sich gegenüber Kollegen äußerte, „die Schnauze voll von dem ganzen Hass“. Mit einer Reportage über den Frieden im Kosovo wollte er Schluss machen. Am 13. Juni 1999 war dort der Waffenstillstand in Kraft getreten. Am gleichen Tage war er auf dem Weg nach Makedonien, um seinen Bericht durchzugeben. Auf der Fahrt dorthin wurde er und seine Begleiter von einem auf der Seite der Serben kämpfenden russischen Freischärler erschossen. Der wollte nur an ihr Auto kommen. Am Dulje-Pass , wo Gabiel Grüner ermordet wurde, steht ein Gedenkstein aus rötlichem Marmor. Darauf ist ein Gedicht von Bertolt Brecht zu lesen: „Der Regen kehrt nicht zurück nach oben. Wenn die Wunde nicht mehr schmerzt, schmerzt die Narbe.“
Peter Tappeiner,
Rechtsanwalt
info@rechtsanwalt-tappeiner.it