Natur&Landschaft: Gezüchtete Edelpilze - Ein Nahrungselement der Zukunft?

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Biologische Zucht von Edelpilzen auf Substrat aus Stroh und Laubholz-Sägemehl am Hof im Thal in Aldein Biologische Zucht von Edelpilzen auf Substrat aus Stroh und Laubholz-Sägemehl am Hof im Thal in Aldein

Wolfgang Platter, am Tag des Hlg. Medardus, 8. Juni 2025

Kürzlich durfte ich auf einer Tagesfahrt mit den Pensionistinnen und Pensionisten des Katholischen Südtiroler Lehrerbundes KSL, welche Marianne Pircher organisiert hatte, die Pilzzucht „Kirnig“ am Hof im Thal in Aldein kennenlernen. Im umgebauten Stadel dieses Hofes züchten die beiden Jungbauern Andreas Kalser und Josef Obkircher auf beimpften Nährsubstraten unter kontrollierten Bedingungen von 12° C Raumtemperatur und 90-95% Luftfeuchtigkeit biologisch vier Arten von Edelpilzen zu Speisezwecken. Die Jahresproduktion dieses Nischenproduktes auf dem Hof in 1.200 Metern Meereshöhe beträgt 80 Tonnen. Drei Arten der derzeit gezüchteten Pilze sind: Shiitake, KräuterSeitling und Austernpilz. Dieses innovative Angebot hat meines Erachtens Zukunft, weil wir in Zukunft weniger Fleisch konsumieren werden. Es geht auch in Richtung Kreislaufwirtschaft und Regionalität, weil z.B. Sägemehl und Stroh als Nährsubstrat verwendet werden. Die interessante Exkursion hat mich dazu inspiriert, eine paar weiterführende und vielleicht neue Informationen zu den Pilzen zusammenzutragen.

Weder Pflanzen noch Tiere
In der Schule haben wir noch gelernt, dass die Pilze zu den Pflanzen gehören. Heute zählt man die Pilze weder zu den Pflanzen noch zu den Tieren. Der Gerüstbaustoff der Pflanzen sind die Zellulose oder bei verholzten Pflanzen auch der Holzbaustoff Lignin. Der Gerüstbaustoff des Außenskelettes von den Insekten, welche über eine Million bis heute bekannte Arten umfassen, ist Chitin. Der Faserstoff der Pilze ist auch Chitin. Aber Pilze betreiben keine Photosynthese wie dies die grünen Pflanzen tun. Pilze erzeugen auch keinen Sauerstoff wie die Pflanzen, sondern veratmen Sauerstoff wie Tiere und Menschen. Pilze sind in ihrer Ernährung Konsumenten wie die Tiere. Wegen dieser verschiedenen Eigenschaften der Pilze, werden die Pilze heute als eigener Stamm im Reich der Lebewesen geführt.

Verwobenes Leben
Viel Neues über Pilze habe ich im empfehlenswerten Buch von Merlin Sheldrake „Verwobenes Leben. Wie Pilze unsere Welt formen und unsere Zukunft beeinflussen“ (Ullstein Taschenbuch, s45 pilz2024) gefunden. Merlin Sheldrake, Jahrgang 1987, ist studierter Biologe, dissertierte über Pilze und lehrt an der englischen Universität in Cambridge.
Pilze sind überall, aber man übersieht sie leicht. Pilze sind um uns und in uns. Pilze sind uralte Lebewesen. Es gibt sie schon seit über einer Milliarde Jahren. Pilze fressen Gesteine, produzieren Erde, verdauen Umweltgifte, ernähren, töten aber auch Pflanzen, überleben im strahlungsintensiven Weltraum, produzieren Nahrung, erzeugen Halluzinationen, stellen Medikamente her, manipulieren das Verhalten von Tieren und haben Einfluss auf die Zusammensetzung der Erdatmosphäre. Aber Pilze führen ein Leben weitestgehend in Verborgenheit, sind doch nach heutigen Schätzungen über 90% der Pilzarten noch nicht dokumentiert.

Vom aquatischen zum terrestrischen Leben
Auf unserer Erde resultierten und resultieren bis heute viele dramatische Ereignisse aus der Tätigkeit der Pilze. Pflanzen konnten vor 500 Millionen Jahren nur deshalb den Übergang vom Wasser zum Land vollziehen, weil sie mit Pilzen zusammenwirkten. In der Evolution der terrestrischen Pflanzen wirkten Pilze über Dutzende von Jahrmillionen als Wurzelsystem, bevor die Pflanzen eigene Wurzeln hervorbrachten. Und heute noch sind mehr als 90% der Pflanzen auf Mykorrhiza-Pilze angewiesen. Bis heute werden neue Ökosysteme an Land von Pilzen begründet. Wenn Vulkaninseln entstehen oder Gletscher sich zurückziehen und nacktes Gestein freilegen, sind Flechten als Symbionten zwischen Pilzen und Algen oder Bakterien die ersten Lebewesen, die sich ansiedeln. Diese Flechten bereiten die Böden, auf denen höhere Pflanzen später Wurzeln schlagen können. An kaum einer Stelle der Erde findet man keine Pilze. Es gibt sie von den Sedimenten der Tiefsee über die Oberfläche von Wüsten und die gefrorenen Täler der Antarktis bis zu unseren Verdauungsorganen. In den Blättern und Stängeln einer einzigen Pflanze können Dutzende oder auch Hunderte Arten von Pilzen existieren.

Stoffwechselzauberer
Dass Pilze in derart verschiedenen Lebensräumen gedeihen können, verdanken sie ihren vielfältigen Fähigkeiten zum Stoffwechsel. Pilze sind wahre Stoffwechselzauberer. Sie können Nahrung auf geniale Weise finden, einsammeln und verwerten. Mit Cocktails aus hochwirksamen Enzymen und Säuren können Pilze einige der hartnäckigsten Substanzen auf der Erde abbauen, so Lignin als härtesten Bestandteil des Holzes, bis hin zu Gestein, Rohöl, den Kunststoff Polyurethan und den Sprengstoff Trinitrotoluol TNT. Eine Pilzspezies, die man aus dem Abraum im Bergbau gewonnen hat, ist eines der strahlungsresistenten Lebewesen, die jemals entdeckt wurden und könnte helfen, den Atommüll zu beseitigen. Der explodierte Reaktor von Tschernobyl ist die Heimat einer großen Population dieser Pilzart. Mehrere strahlungstolerante (Pilz-)Arten wachsen in Richtung radioaktiver Teilchen und sind offenbar in der Lage, die radioaktive Strahlung als Energiequelle zu nutzen, wie es die grünen Pflanzen in ihrer Photosynthese mit der Sonnenergie tun.

Sporen statt Samen
Wenn wir umgangssprachlich von Pilzen sprechen, stellen wir uns in unserem Nutzungsdenken meist genießbare Speisepilze oder ungenießbare und Giftpilze vor. Dieser „Pilz“ ist aber nur der Fruchtkörper als Teil eines viel größeren Ganzen. So wie die Früchte und Samen von Pflanzen nur der Teil eines Systems von Wurzeln, Zweigen und Blättern sind. Der Fruchtkörper eines Pilzes ist jener Ort, an dem die Sporen produziert werden. Sporen erfüllen bei den Pilzen den gleichen Zweck wie die Samen bei den Pflanzen: Sie dienen der Verbreitung zum Erhalt der Art. Der Fruchtkörper als sichtbarer „Pilz“ ist die Strategie, sich der Außenwelt aufzudrängen, vom Wind bis zum Wildschwein im Falle z.B. der unterirdischen Trüffel, damit diese Vektoren bei der Verbreitung ihrer Sporen helfen. Es sind diese sichtbaren Teile der Pilze – duftend, begehrenswert, köstlich oder auch giftig – die uns auffallen. Solche Fruchtkörper sind aber nur eines von vielen Hilfsmitteln zum Arterhalt. Die Mehrzahl der Pilzarten setzt ihre Sporen frei, ohne überhaupt „Pilze“ als Fruchtkörper zu produzieren. Beispiel Schimmelpilze. Pilze produzieren weltweit jedes Jahr ungefähr 50 Millionen Tonnen Sporen. Das entspricht dem Gewicht von 500.000 Blauwalen. Damit sind die Pilzsporen die größte Quelle für lebende Teilchen in der Luft.

Wettermacher
Pilzsporen gelangen in die Wolken und beeinflussen das Wetter: Sie sorgen dafür, dass sich Wassertropfen bilden, die als Regen herabfallen, oder das Eiskristalle zu Schnee, Schneeregen oder Hagel werden.
Die einzelnen Zellfäden der Pilze nennt man in der Fachsprache „Hyphen“. Die Gesamtheit der filigran verflochtenen Hyphen bezeichnet man als „Mycel“. Das Mycel ist die weitest verbreitete Lebensform der Pilze. Würde man das Mycel in einem Gramm Erde – ungefähr einen Teelöffel – entwirren und hintereinanderlegen, so würde es sich nach verschiedenen Schätzungen über 100 Meter bis 10 Kilometer erstrecken.

Netzwerker
Pilze sind Meister des Netzwerkens: Mit ihrem genialen Stoffwechsel können Pilze ein breites Spektrum an verschiedenen Beziehungen eingehen. Ob in Wurzeln oder Schösslingen, seit es diese in der pflanzlichen Evolution gibt, sind Pflanzen für Nahrung und Abwehr auf Pilze angewiesen. Auch Tiere sind von Pilzen abhängig. Als ein Beispiel seien die Blattschneiderameisen genannt. Diese Ameisenart züchtet für ihren Staat zur Ernährung der verschiedenen Entwicklungsstadien in ihren höhlenartigen Kammern einen Pilz, den sie mit Blattstücken füttert.
Wie die Blattschneiderameisen haben auch wir Menschen herausgefunden, wie wir Pilze nutzen können, um eine ganze Reihe von dringenden Problemen zu lösen. Vermutlich haben unsere Vorfahren solche pilzbasierten Lösungen schon zu einer Zeit gekannt, bevor sie Homo sapiens waren. Im Jahr 2017 rekonstruierten Wissenschaftler die Ernährung der Neandertaler, die vor rund 50.000 Jahren ausgestorben sind. Dabei stellte sich heraus, dass ein Individuum mit einem Zahnabszess eine bestimmte Pilzart – eine Penicillin-produzierende Schimmelart – gegessen hatte. Dies lässt darauf schließen, dass man unter Neandertalern um die antibiotischen Eigenschaften dieser Pilzart bereits wusste. Es gibt aber auch erdgeschichtlich jüngere Beispiele wie den Ötzi mit seinen 5.300 Jahren Konservierung im Eis. Eine Tasche, die er am Tag seines Todes bei sich trug, war mit Bündeln des Zunderschwammes (Fomes fomentarius) gefüllt, die mit ziemlicher Sicherheit dem Feuermachen diente. Außerdem fanden sich dort sorgfältig zubereitete Bruchstücke des Birkenporlings (Fomitopsis betulinae), die vermutlich als Arznei verwendet wurden. Letztere Pilzart schmeckt bitter und ist durch ihre korkartige Beschaffenheit ungenießbar. Birkenporlinge hatten also keinen „Nährwert“ im herkömmlichen Sinn. Die Birkenporlinge von Ötzi waren aber sorgfältig verarbeitet und wie Schlüsselringe an Lederstreifen befestigt. Dies lässt auf ein gut entwickeltes Wissen über ihren Wert und ihre Anwendungsmöglichkeiten schließen.

 

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