Kultur: Färberweg Herrngassl Silbergasse Kugelgasse

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Straßennamen zeichnen ein Bild der geistigen, materiellen, wirtschaftlichen, politischen und religiösen Befindlichkeit einer Stadt, eines Dorfes oder eines Landes. Die alten Namen der Gassen nennen Tätigkeiten und Gewerbe oder geografische und soziale Realitäten einer Ortschaft.
Im Vinschgau heißen die alten Wege Mühlgasse, Herrengasse, Finstergasse, Feuchtgasse, Färberweg, Gerberweg, Pròtzenweg und Silbergasse. Eine der ältesten und am häufigsten vorkommenden Bezeichnungen in Vinschgauer Dörfern sind die Kugelgassen, über deren Hintergrund es im Vinschgerwind 7/2013 vom 04.04.2013 ausführlich zu lesen gibt. Die ältesten Gassen in Bozen sind die Erbsengasse, Kornplatz, Fischbank, Karrnergasse, Bindergasse, Silber- und Mustergasse. In Meran ist es der berühmte Rennweg, zu finden auch in Wien oder Zürich, und wer weiß wo sonst noch.
Zu Ende des 19. Jahrhunderts entwickelt sich eine Unsitte, die Namen angeblich verdienter Bürger in das städtische Straßenregister aufzunehmen. In Bozen ist es ein Dr. Streiter oder ein Dr. Perathoner. Seit den 1930er Jahren erwehrt sich das Straßenregister nicht mehr von Helden, Generälen, Politikern und Künstlern. Die inzwischen weit verbreitete Unsitte ist jedoch ein relativ junges Phänomen. Angefangen hatte es zwar schon vor mehr als zweitausend Jahren, mit den Namen der römischen Konsuln, auf deren Betreiben große und weitführende Straßen benannt sind: Aurelia, Appia, Claudia Augusta usw. Nicht so in den urbanen Zentren. Dort stehen die ältesten Nennungen in Zusammenhang mit den ansässigen und dort arbeitenden Handwerkern (Via dei Cappellari, Via dei Coronari, Campo de Fiori usw.) oder beziehen sich auf naheliegende Kapellen und Kirchen oder auf sonstige Besonderheiten des Ortes.
Seit etwa 1700 bereicherten Persönlichkeiten aus den Adelshäusern das Straßenregister in ganz Europa. In Deutschland und Österreich wurde diese Praxis bis 1918 weitergeführt, anderenorts noch länger. Der preußische König Friedrich Wilhelm III ehrte 1805 den in Berlin auf Besuch weilenden Zar Alexander mit der Umbenennung des ehemaligen „Königs-Thor-Platzes“ in Alexanderplatz. Durch das rasante Wachstum der Großstädte mussten ab 1850 am laufenden Band neue Straßennamen erfunden werden. Einerseits aus Mangel an überlieferten, den Örtlichkeiten angemessenen Benennungen, andererseits einem Modetrend folgend, sollten Mitglieder der gesellschaftlichen Eliten und der Militärs im Straßenverzeichnis abgebildet werden. Der jeweilige Rang des Spenders stand in direkter Relation zur Lage und Großartigkeit der zu benennende Straße. Später, ab dem 19. Jahrhundert wurden auch Dichter, Sänger, Künstler jeder Gattung in die Straßenbenennungen aufgenommen. Es betraf fast ausschließlich Männer, mit Ausnahme der Damen des höchsten Adels wie Regina Margherita, Königin Luise, Maria Theresia, Elisabeth, Karoline ect. Während der Zeit des Faschismus und Nationalsozialismus wurden viele Straßen zu Zwecken der Propaganda und Machtdemonstration nach Führern und Bonzen des politischen Lebens benannt oder umbenannt, so auch in einigen Südtiroler Ortschaften.
Nach 1945 waren die unterlegenen Ideologien, vor allem in Deutschland und Österreich angehalten, alle an die Naziherrschaft erinnernde Straßen oder Plätze schleunigst wieder umzubenennen. So wurde zB. 1934 in Innsbruck ein Dollfußplatz geschaffen, später zu Adolf-Hitler-Platz umgetauft und bald darauf aus dem Verzeichnis getilgt. Ein Adolf-Hitler-Platz in Berlin wird 1945 zum Theodor-Heuss-Platz, der vor 1933 noch Reichskanzlerplatz hieß, das Foro Mussolini in Rom wird zu einem Foro Italico. Aber noch immer tragen viele Straßen und Plätze die Namen zweifelhafter oder krimineller Personen.
Ab 1946 tauchen im Register die Namen diverser Widerstandskämpfer auf, wie zB. ein Graf Stauffenberg, Sophie und Hans Scholl, Antonio Gramsci, Giacomo Mateotti usw. Die Liste der aus politischen Opportunitäten oder veränderten Gesellschaftssituationen umbenannter Straßen ist ellenlang. Im Lauf einer Generation haben manche Straßen zwei- bis dreimal ihren Namen gewechselt. Gavrilo Princip, der Habsburgs Kronprinzenpaar Ferdinand und Sophie erschossen hatte, wurde in Jugoslawien mit mehreren Straßenbenennungen geehrt. Was die Via Roma oder Piazza Garibaldi für Italien, ist Andreas Hofer für Südtirol. Abwesend sind jedoch so gut wie überall die Heroen der Verweigerung: Der Kriegsdienstverweigerung, der Befehlsverweigerung und der Fahnenflucht.

Anhand der Veränderungen im Straßenregister lässt sich die soziale und politische Entwicklung jeder Stadt rekonstruieren. Umbenennungen von Straßen waren in früheren Zeiten sehr selten, und eine politische Einflussnahme oder eine generell politische Landkarte hat sich in den alten Stadtplänen nie dargestellt.
Einige wenige Orte sind von dieser Entwicklung verschont geblieben, dazu gehören zum Beispiel die historischen Zentren italienischer Städte und vor allem die Stadt Venedig. Motive der Benennung gab es zur Genüge, Beschreibung der Umgebung, der landschaftlichen Situation, die anwesenden Zünfte und Handwerker, Berufe, Pflanzen und Tiere. Es gibt aber auch einige Besonderheiten und lustige Namen, wie eine Mondscheingasse, eine Via della Sposetta Vecchia, Via dell’Ape Regina, Piazzetta del Fico, Via del Pesce Porco, Via della Scrofa. Diese alte Straße mitten im Zentrum Roms beehrt eines der wichtigsten Tiere unserer Kultur. Kein Schweinsbraten, keine Frankfurter oder Braunschweiger, keine Mortadella ohne die Sau. Die Benennung reicht Jahrhunderte zurück, als man sich dieses Tieres noch nicht zu schämen brauchte. Bis heute ist die kulinarische Identität des Südtirolers untrennbar damit verbunden. Jeder Halbmittag, jede bäuerliche Marende, jede Selbstdarstellung braucht sie. Aber Achtung: Scrofa ist nicht die Specksau, sondern die trächtige oder säugende Muttersau, und der möchte man auf unseren Straßen nicht mehr begegnen.

Erich Kofler Fuchsberg

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