Franz-Tumler-Literaturpreis – Die Nominierungen: Teil 2
Ricarda Messner:
Wo der Name wohnt.
Suhrkamp Verlag, 2025.
In ihrem Debütroman Wo der Name wohnt schreibt Ricarda Messner über das Aufeinandertreffen von Alltag und Erinnerungen. Es handelt sich um ein autobiographisch geprägtes Familienportrait, in dem ein Bogen vom sowjetischen Lettland bis in das Deutschland der Gegenwart gespannt wird. Die Protagonistin wünscht sich, den Namen „Levitanus“ ihrer sowjetisch-jüdischen Familie beizubehalten. Ihre innige Beziehung zu den Großeltern und verschiedene Erinnerungsfragmente stehen im Zentrum einer generationenübergreifenden Verbundenheit. „Auf einem Foto stehen meine Mutter, Großmutter, Großvater und ich nebeneinander. Wir sind alle gleich groß, ich [...] kann sie sehr bald alle in mir wie in einer Matrjoschka einsammeln“ (S. 69).
Die Rekonstruktion der Familienhistorie folgt nicht einem chronologischen Muster. Vielmehr wird die Verknüpfung der Gegenwart mit der Vergangenheit durch das Vor- und Zurückspringen in den Zeitebenen unterstrichen. Die Enkeltochter arbeitet im Zuge ihrer „Vergangenheitsinventur“ (S. 81) das bewegte Leben der Familie auf. Es werden die grauenhaften Tage im Rigaer Ghetto aus dem Jahr 1941 thematisiert und die Ich-Erzählerin findet heraus, dass ihre Großeltern mit ihrer Mutter „[a]m 09. April 1971 als Staatenlose ihr Früher“ verlassen haben (S. 79). Messners eigene Vorfahren sind im April 1971 aus Riga in die Bundesrepublik gekommen.
Dieser Roman verbindet historische Ereignisse mit der Geschichte der Familie Levitanus auf eindrückliche Weise. Die Lektüre regt dazu an, sich Gedanken zu machen, inwiefern ein Familienname eine transgenerationale Brücke darstellt.
Kathrin Renner